Erlangens Beitrag zur 4. Biennale der Zeichnung

17.1.2017, 18:00 Uhr
Erlangens Beitrag zur 4. Biennale der Zeichnung

© Harald Sippel

Durch Querelen bei der Eröffnung wäre beinahe untergegangen, dass die beiden Künstlerinnen Ruth Loibl und Annette Voigt sowie ihr Kollege Selçuk Dizlek – dessen Werkstatt steht in Schweinfurt – eine sehr sehenswerte Ausstellung aufgebaut haben. Die Ausstellung mit dem Titel „open structure“ (Offene Struktur) trägt mit ihren Formen und Strukturen und dem Wechselspiel mit den sie umgebenden Räumen einen beredten Titel, der erkennbar hält, was er verspricht.

Dabei arbeiten die drei Künstler, die mit der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg einen gemeinsamen Nenner haben, in sehr unterschiedlicher Weise, die (im Wortsinn) gegenständlichen Arbeiten von Annette Voigt und Selçuk Dizlek bis zu den flächigen Arbeiten von Ruth Loibl.

Barbara Leicht, seit Jahresbeginn Leiterin des Kulturamtes in Neumarkt, hat es sich nicht nehmen lassen, die von ihr angeregte Ausstellung zu eröffnen. Am leichtesten „begreifbar“ sind die Arbeiten des Schweinfurter Künstlers Selçuk Dizlek, dessen Arbeitsweise eigentlich ins Genre „Zeichnungen“ – dem Biennale-Motto – fast nicht hineinpasst. Trotzdem sind seine Objekte – farbige Kreissegmente, sich verrenkende Stahlstäbe, mit Schwarzlicht zum Leuchten angeregte Plexiglas-Lineale – auch Strukturen, die ins Bildnerische hineinpassen oder dies zumindest gut ergänzen. Dizek spielt mit dem zu Linien geformten Licht, sein Material interveniert auf ganz leichte Weise im Raum, seine Objekte versprechen Mobilität ebenso wie Flexibilität und wirken filigran.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“ Dieses noch im gleichen Jahr prompt gebrochene Versprechen Walter Ulbrichts mit dem Ergebnis des Baus der Berliner Mauer 1961 hat die heute in Erlangen lebende Objektkünstlerin Annette Voigt angeregt, eine ebenfalls beeindruckende, wenn auch leichtgewichtige Mauer zu bauen. Diese besteht aus hunderten gefalteter Papierkartons, die den großen Galerieraum des Kunstmuseums sowohl in zwei Teile teilt, durch einen definierten Durchbruch aber auch den Blick auf einige Arbeiten ihrer Kollegin Ruth Loibl freigibt. In weiteren Arbeiten nimmt sie das Material Papier, um durch Umformungen und zarter Farbgebung neue Bedeutungen herauszuarbeiten.

Ausgesprochen hintersinnig, oft mit Wortwitz und satirischem Gespür aufgeladen sind die Objekte von Ruth Loibl, die den Besucher mit überraschenden Neuinterpretationen ihm meist bestens bekannter Alltagsbilder konfrontieren. Songtexte, Playlists, Stundenpläne, Sitzordnungen – alles, was uns im Alltag „ordentlich“ strukturiert gegenüber tritt und Komplexes übersichtlich macht, nutzt Loibl mit feiner Linie und schafft Zeichnungen von irritierend schönem Auftritt und meist hintersinniger Bedeutung. Das reicht von bewusst herbeigeführten Sehunschärfen bei sich überlagernden Texten bis zur Einbeziehung von Wort und Text in gegenständliche Bilder – Loibl überzeugt durch handwerkliche Präzision.

Erlangens Beitrag zur 4. Biennale der Zeichnung

© Harald Sippel

Ebenfalls im Licht dieser Biennale steht die Ausstellung beim Kunstverein Erlangen. Dort stellt der heute in Freiburg lebende und arbeitende gebürtige Fürther Maler/Zeichner Günter Walter aus, der an der Nürnberger Akademie ausgebildet wurde. Ihn hat die Kunstkritik als meisterlichen Darsteller einer gegenstandslosen Welt auf dem Schirm – und in der Tat sind seine Zeichnungen aus präzisen farbigen, manchmal auch monochromen Strichen von irritierender Schönheit.

Sein Künstler-Kollege und Freund Rainer Thomas nennt Walters Werk „jene Schönheit, die sich aus Maß und Zahl“ ableitet – Mathematik, besser: Geometrie als hohe Kunst subtiler Zeichensprache. Die Vorstellung, dass die Gerade erst im Unendlichen „endet“, will Walter nicht akzeptieren. Er akzeptiert die Beschränkung auf handliche Formate, in denen er aber unendlich sorgfältig arbeitet.

Kunstmuseum Erlangen, Nürnberger Straße 9, „Open structure“ , Selçuk Dizlek, Ruth Loibl und Annette Voigt, Di.—Fr. 11—18, Sa./So./feiertags 11—16 Uhr.

Kunstverein Erlangen, Hauptstraße 72, Günter Walter: Line to line, bis 23. Februar; Di., Mi., Frei. 15—18, Do. 15—19, Sa. 11—14 Uhr, So./Feiertag geschlossen.

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