Gedenkstätte: "Hupfla" in Erlangen als Ort der Irritationen

22.11.2018, 06:15 Uhr
Gedenkstätte:

Den Weg zu einer Gedenkstätte hat Erlangen längst eingeschlagen. Es wird offen darüber gesprochen, dass im Rahmen der NS-Euthanasie zwischen 1939 und 1941 über 900 Patientinnen und Patienten mit psychischer Erkrankung der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt ("Hupfla") ermordet wurden und es darüber hinaus eine große Zahl durch "Hungerkost" Getöteter gab. In einem Forschungsprojekt sollen die Ereignisse aufgearbeitet werden. Und Stadt, Universität und Universitätsklinikum ziehen gemeinsam an einem Strang, um einen Gedenkort zu schaffen. Nun wurde mit der Auftaktveranstaltung im gut besuchten großen Hörsaal der Medizinischen Fakultät der nächste Schritt gemacht und die Diskussion in die Öffentlichkeit getragen.

Während also bereits klar ist, was man will, ist noch ungewiss, wohin damit — und auch, wie das Ganze genau gestaltet sein soll. Oberbürgermeister Florian Janik formulierte in seinen Einführungsworten die Fragestellung, die den eigens für die Schaffung eines Erinnerungsortes ins Leben gerufenen Beirat bewegt: "Braucht es für ein angemessenes Gedenken einen authentischen Ort?" Das Erinnern allein, so Janik, sei mit Sicherheit jedenfalls nicht ausreichend. Es gehe auch darum, in welcher Weise man heutige Fragen der Medizinethik miteinbeziehen könne.

Mehrere Vertreter von NS-Gedenkstätten saßen auf dem Podium und gingen darauf ein, wie ihre Einrichtungen die Erinnerungsarbeit ausgestalten. Florian Dierl, Leiter des Nürnberger Dokumentationszentrums, schilderte, wie schwer sich Erlangens Nachbarstadt mit den Zeugnissen der NS-Zeit getan habe — und wie verschlungen die Wege zum Ort des Erinnerns gewesen seien. Neben dem Dokuzentrum hat Nürnberg als "authentischen Ort" die Zeppelintribüne, die Teil des Reichsparteitagsgeländes war. Die negative Seite daran sei, dass mit ihr nur der Aspekt der Tätergeschichte beleuchtet werde, so Dierl. Die Opfer können hier nicht sichtbar gemacht werden.

Es gebe in Nürnberg, so führte er weiter aus, an verschiedenen dezentralen Orten Gedenkstätten, wo auch bei verschiedenen Anlässen Blumen niedergelegt werden — "es fragt sich bloß von wem". Für Angehörige jedenfalls sei der historische Ort von Bedeutung — der Ort, wo sie sich emotional ihren ermordeten Familienmitglieder nahe fühlen können. Ein solcher Ort, so meinte Dierl, scheine der sogenannte Kopfbau der "Hupfla" zu sein, "deshalb sollte man sich damit auseinandersetzen".

Genau das aber ist eine heikle Sache. Dass der im letzten Jahr eigens gegründete Beirat, der die Schaffung eines Erinnerungsortes vorantreiben soll und in dem unter anderen Stadt und Universitätsklinikum vertreten sind, zu unterschiedlichen Antworten auf die Frage des "Wohin" kommt — davon darf ausgegangen werden. Zwar eint alle Beteiligten das erklärte Ziel, sich der NS-Vergangenheit zu stellen. Doch wenn es um die Wahl eines authentischen Ortes geht, wird es schwierig. Denn ein großer Teil der früheren "Hupfla" ist bereits abgerissen. Nur einige — heute denkmalgeschützte — Gebäude sind noch übrig. Und von diesen ist das ehemalige psychiatrische Universitätskrankenhaus, das sich am Nordrand der ehemaligen Erlanger Heil- und Pflegeanstalt befindet, im Gespräch.

Aber genau an dieser Stelle hat das heutige Universitätsklinikum — und damit der Freistaat — eigene Interessen. Hier möchte man irgendwann einmal moderne Forschungsgebäude errichten. Als erstes soll der Westflügel dieses Gebäudes einem "Zentrum für Physik und Medizin" der Max-Planck-Gesellschaft weichen. Der bestehende Denkmalschutz des 1879 errichteten Gebäudes soll bei diesen Vorhaben kein Hindernis sein, empfahl der Landesdenkmalrat.

Auf die Bedeutung des Gebäudes als Denkmal ging Professor Heinrich Iro, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Erlangen, in seinem Grußwort nicht weiter ein. Er sagte, der Erhalt des Baus sei geprüft, aber als nicht durchführbar zurückgestellt worden. "Marode Gebäude oder tote Steine alleine erinnern nicht", führte er weiter aus. Als Möglichkeiten für einen Gedenkort böten sich jedoch die ehemalige Direktorenvilla der "Hupfla" oder die Villa des damaligen Anstaltsleiters an.

Aus dem Publikum heraus wurde dieser Vorschlag als "empörend" zurückgewiesen. Dies sei die "Tätervilla" gewesen. Auch der Initiator einer Unterschriftenaktion für den Erhalt des historischen psychiatrischen Klinikgebäudes meldete sich zu Wort. Der Gedenkort könne nur dort untergebracht werden, wo man fühle und spüre, dass Patienten gewesen seien.

So weit wollte Jörg Skriebeleit von der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg nicht gehen, auch wenn er anfangs gestand, dass er ein bisschen "in den Kopfbau verliebt" sei. Den Erlangern empfahl er, sich zu überlegen, wie sie mit dem speziellen historischen Hintergrund Relevanz schaffen können. "Relevanz schafft man durch Irritation", fügte er hinzu.

Es dürfe nicht um "urfade Kontexte" gehen. Medizinethik werde sichtbar in den Menschen, die sie betrifft. Das führe weg von Gebäuden. Man müsse sich fragen, was die Stadt Erlangen heute sei, was sie in den letzten Jahrzehnten geprägt habe. Und auch, wie man etwas schaffen könne, "was es deutschlandweit noch nicht gibt: Sie könnten mit dieser Euthanasie-Gedenkstätte einen herausragenden Leuchtturm setzen".

Wie man "Relevanz" schafft, führte Florian Schwanninger aus, der den Gedenkort Schloss Hartheim vorstellte. Man wolle nicht nur Gedenken betreiben und Verbrechen zeigen. Die Ausstellung "Wert des Lebens", bei der es auch um aktuelle Themen wie Sterbehilfe gehe, sei auch für Schulen im Rahmen des Ethik- und Religionsunterrichts interessant.

Boris Böhm von der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein wiederum verwies darauf, wie wichtig seiner Einrichtung der Kontakt zu den Angehörigen während der NS-Zeit Ermorderter sei. Auch viele Patienten wurden in der ehemaligen Tötungsanstalt in Sachsen ermordet. Man sei deshalb sehr an einer Kooperation mit der Erlanger Initiative interessiert.

Geschichte sei die "Vergangenheit, die heute wirkt", sagte Unipräsident Joachim Hornegger. In Erlangen werden Gegenwart und Vergangenheit nun zusammengeführt. Wie ist immer noch offen.

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