Heitere Bravour trifft großes Sentiment

27.1.2017, 19:25 Uhr

Der zierliche, modisch gestylte australisch-taiwanesische Geiger, der bei der Nobelpreisverleihung, zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Nagano, zu Emporio Armanis Geburtstagsfeier gespielt hat, verkörpert optisch und gestisch in seinem mimisch emotionsgeladenen Ausdruck den jugendlichen Startypus, der über die Klassikszene hinaus gut ankommt.

Doch mit solchen „Social Network-Kompetenzen“ ist es nicht getan. Ray Chen spielt fantastisch, intensiv und hochmusikalisch Geige. Mit großer Emphase ist er vom ersten Ton an in der Musik, findet ihre Sprache, so etwa in Bruchs berühmtem ersten Violinkonzert. Mit Pathos und Temperament, großem Sentiment, dramatisch immer auf die thematischen Höhepunkte organisch hinarbeitend, verführt Chen zum verschmelzenden Zuhören. Das ist besonders spannend, weil Chen die Stradivari „ex Joachim“ von 1715 spielen darf, exakt das Instrument, auf dem der berühmte Geiger Joseph Joachim Bruchs Konzert 1868 aufgeführt hat. Die „ex Joachim“ klingt hinreißend, warm, feurig, sanglich.

Beredte Spielweise

Melodien sind Chens Sache. Nicht von ungefähr bedauert er, dass Rachmaninow kein Violinkonzert geschrieben hat. Die bearbeitete „Vocalise“ klingt trotzdem so, als wäre sie eigens für Chen und seine „Stradivari“ komponiert. Mit der Zugabe, dem Virtuosenschmankerl von Paganinis Caprice Nr. 21, verblüfft Ray Chen ein weiteres Mal mit seiner mühelosen, heiteren Bravour und beredten Spielweise.

Für diesen Abend ist das Orchester mit einigen Nachwuchsmusikern der „Orchesterakademie“ besetzt. Die machen ihre Sache gut, meistern Tschaikowskys grandiose „Manfred“-Symphonie als dramatische Tondichtung lebendig, sind tonal und klanglich souverän. Sie werden dem Pathos und der Finesse der Partitur unter dem temperamentvollen Dirigat des Amerikaners Robert Trevino ausdrucksstark, dynamisch überwältigend, in der Themengestaltung deutlich charakterisierend, mehr als gerecht. Was soll nach diesem symphonischen Großaufgebot noch folgen? Es ist eine heikle Programmführung, noch das „encore! Encore!“, die „Uraufführung einer Zugabe“, quasi pflichtgemäß anzusetzen.

Diese entspringt diesmal der kompositorischen Feder von Jonathan Dove (geb. 1959). Es erklingt ein wunderschönes, gewitztes, knapp zehnminütiges Werk, das seinem Titel „Sunshine“ alle wohlklingende, reizvolle Ehre macht: Vogelgezwitscher, ein klangliches lautmalerisches Idyll entspinnt sich da innerhalb eines synkopischen Ostinato-Musters. Das ist duftig, federleicht, entwickelt sich, ist allerliebst, raffiniert, verwöhnt das Hörerohr mit eigensinnig und sinnvollem Vertrauten und erfüllt somit seine ihm zugedachte Aufgabe meisterlich.

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