Hinter Gittern gibt es mehr als Erste Hilfe

27.12.2011, 09:00 Uhr
Hinter Gittern gibt es mehr als Erste Hilfe

© privat

Die beiden Frauen, die an diesem kalten Dezembermittag die Klingel drücken, gleich neben dem Schild „Justizvollzugsanstalt Erlangen“, wissen, was sie erwartet. „Sie wollen meinen Ausweis“, sagt Waltraud Heiter gut gelaunt zu dem Beamten, der drinnen hinter einer Glasscheibe den Besuch aus der Kleeblattstadt begrüßt. Mit dem Personalausweis reicht die 69-Jährige auch den Autoschlüssel und ihr Handy durch die Öffnung.

Mehr als Rettungsdienst

Seit ein paar Jahren unterstützt Waltraud Heiter die 82-jährige Marianne Ecker, die vor 22 Jahren die Idee hatte, ehrenamtlich Erste-Hilfe-Kurse im Gefängnis zu geben; erst in Nürnberg, wo sie die damalige Leiterin kannte, dann auch in Erlangen. Später kamen Entspannungs- und Strickkurse hinzu. Die beiden Frauen, die sich mit Herzblut fürs BRK engagieren, gehen gerne zu den Häftlingen: „Das Rote Kreuz ist mehr als der Rettungsdienst. Als Wohlfahrtsverband haben wir auch die Aufgabe, uns um Randgruppen zu kümmern“, sagt Ecker. Um Menschen zum Beispiel, die in ihrem Leben gestrauchelt sind.

Hinter der nächsten Tür, die sich für Ecker und Heiter öffnet, beschnuppert ein Hund schon die Ehefrauen und Kinder, die Mütter, Väter und Geschwister der Häftlinge, die gekommen sind, um im Familienkreis Weihnachten zu feiern. Man will sichergehen, dass keine Drogen ins Gefängnis geschmuggelt werden.

Berührungsängste, sagt Ecker mit Blick auf die inhaftierten Männer und Frauen, denen sie die Grundlagen der Ersten Hilfe vermittelt, habe sie nie gehabt, „vom Naturell her nicht“. Gewöhnungsbedürftig sei allerdings „das Klack-Klack-Klack“ der vielen Türen gewesen, die auf- und wieder zugesperrt werden. „Man hat das Gefühl, man kann da nicht mehr raus.“ Das unbehagliche Gefühl aber sei bald verschwunden.

Als Dank für ihre Arbeit werden Ecker und Heiter jedes Jahr zur Weihnachtsfeier eingeladen. Es gibt Plätzchen, die die Insassen gebacken habe, Familien sitzen zusammen, trinken Kaffee aus Pappbechern, unterhalten sich. Für die Kinder ist eine Spielecke aufgebaut. Immer wieder kommen Häftlinge auf sie zu. „Schlank sind Sie geworden!“, begrüßen die Frauen einen. „Wie geht es Ihnen?“

Ecker und Heiter sagen, dass sie ihre Teilnehmer nie fragen, was sie „gemacht“ haben. Aber sie hören zu, wenn die Männer von sich aus reden wollen. Manchmal geht es um Diebstahl, um Raub oder Körperverletzung. Manchmal um Totschlag oder Mord. Die Insassen berichten von Drogen, von falschen Freunden, von Enttäuschungen und blinder Wut. Von Situationen, in denen sie plötzlich zum Messer griffen. „Wir heißen die Taten nicht gut, sie sind nicht zu entschuldigen. Aber manchmal kann man die Emotionen verstehen“, sagt Ecker. Angst habe sie nicht, wenn sie die Kurse gibt. „In diesen ganzen Jahren ist nie einer frech oder zudringlich geworden.“ Eher fallen ihr die Insassen als hilfsbereit auf. „Bei vielen Kursen, die wir draußen geben, gehen die Leute danach einfach. Hier helfen sie uns, die Utensilien zusammenzupacken. Man achtet sich.“ Und Heiter fügt hinzu: „Wir haben hier den Mutterstatus.“

Als eine Chance für seine Insassen sieht die Kurse Michael Behnke, der Leiter der JVA Erlangen. Da sei zum einen der nützliche Aspekt: Ein Erste-Hilfe-Kurs sei für manche Berufe und den Führerschein relevant. Der Kurs sei aber nicht nur in dieser Hinsicht „ein Anknüpfungspunkt ans Leben draußen“: Es tue den Männern gut, dass „Personen von draußen kommen, mit denen sie über das Leben draußen reden können“. Wichtig ist, so Behnke, auch „der Akt des Für-Andere-Sorgens“, der mit den Kursen einhergehe — auch wenn einem bewusst sein müsse, dass „ein Kurs natürlich nicht aus jedem einen anderen Menschen macht“.

Schon zweimal dabei

Ein junger Mann, Mitte 20, der besonders motiviert ist, seine Chancen zu ergreifen, hat sich zu Ecker und Heiter gesetzt. Ihren Kurs hat er schon zweimal besucht. „Hier hat man ja die Zeit dazu“, sagt er, aber das sei nicht der einzige Grund: „Ich habe genug Menschen in der letzten Zeit wehgetan. Ich möchte jetzt anderen helfen. Der Kurs ist das Beste, was mir passieren konnte.“ Das sei eine gute Möglichkeit, neue Bekannte zu finden und die Vergangenheit bald hinter sich zu lassen.

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