Holocaust-Gedenktag: Erlangen schafft Gedenkstätte

26.1.2019, 11:00 Uhr
Holocaust-Gedenktag: Erlangen schafft Gedenkstätte

© Foto: Studiocanal GmbH/ AnjezaCikopan

Durch den Film "Nebel im August" bekommen die Opfer der Patientenmorde im Nationalsozialismus nach jahrzehntelangem Verdrängen und Verschweigen Gesichter und Namen. "Bilden Sie sich selbst Ihre Meinung, schauen Sie am Sonntag diesen Film." Dies sagt ein Leser unserer Zeitung. Er selbst hat den Film gesehen, vor zweieinhalb Jahren, als er in den Lamm-Lichtspielen gezeigt wurde, flankiert durch eine von dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin sowie der Kinder- und Jugendklinik veranstaltete Diskussionsrunde. Der Film zeigt das bewegende Schicksal eines Kindes, stellvertretend in Szene gesetzt für zirka 5000 geistig und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche, die während der Zeit des Nationalsozialismus in den Heil- und Pflegeanstalten oder eigens geschaffenen Tötungsanstalten ermordet wurden.

Er müsse aber warnen, der Film setze einem sehr zu, sagt unser Leser. Als er diese Woche in unsere Redaktion kam, hatte er nicht nur Informationen über den Film "Nebel im August" dabei, sondern auch alte Postkarten. Darauf zu sehen: die ehemalige Erlanger Heil- und Pflegeanstalt, "Hupfla" genannt – ein riesiges Areal, bebaut mit vielen Gebäuden, von denen heute nur noch wenige erhalten sind. Darunter die ehemalige psychiatrische Klinik – der sogenannte Kopfbau, der gemäß einem Stadtratsbeschluss zum Teil abgerissen werden soll, dessen andere Hälfte aber im Gespräch ist als angemessener und authentischer Erinnerungsort für die Opfer der NS-Euthanasie.

Hier könne ein Ort entstehen, der "einzigartig in der deutschen, wenn nicht europäischen Szenerie der Gedenkstätten und medizingeschichtlichen Einrichtungen" sei, sagte der renommierte Kulturwissenschaftler Jörg Skriebeleit, der die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg leitet, gegenüber der SZ. Er sehe Chancen, die Medizinhistorie des Nationalsozialismus dort am Beispiel der Medizinstadt Erlangen zu dokumentieren. Im Fokus stünden dabei die Opfer der NS-Medizin. Der Ort würde sich aber auch mit Themen wie Zwangssterilisation und Zwangskastration beschäftigen und die Täter – Ärzte also – in den Blick nehmen. Eine solche Einrichtung könne auch medizinethische Debatten vor der NS-Zeit abbilden sowie den Umgang mit Opfern, Tätern und baulichen Relikten nach 1945.

Die Bedeutung dieses möglichen künftigen Lernortes hat auch der Erlanger CSU-Stadtrat Wolfgang Beck erkannt. Hier, in dem "Hupfla"-Kopfbau, sei es möglich, einen Ort des Lehrens und Lernens zu schaffen, sagte er in der Stadtratssitzung, in der mehrheitlich beschlossen wurde, dass ein Teil des Gebäudes abgerissen wird, damit das Universitätsklinikum und die Max-Planck-Gesellschaft moderne Forschungsgebäude errichten können. Dies sei ein notwendiger, zukunftsgerichteter Schritt, sagte der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums, Prof. Heinrich Iro. Man dürfe nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern müsse den Blick auch in die Zukunft richten.

Die Zukunft der medizinischen Forschung sei zweifellos wichtig, sagte Wolfgang Beck im Stadtrat. Sie sei aber nur das eine. Die Zukunft verpflichte auch in anderer Hinsicht. Es sei nicht minder wichtig, das zu erhalten, was gewesen war, um zu zeigen, was das politische System mit den Menschen macht.

"Es gilt, die Vergangenheit insofern zu bewahren, dass wir daraus lernen und geschützt sind vor neonazistischen Bewegungen", führte Beck im Gespräch mit den EN diesen Gedanken aus. "Wir müssen die politische Zukunft der Demokratie sichern helfen." In seiner Zeit als Geschichtslehrer hat Wolfgang Beck die Erfahrung gemacht, dass es eine andere Wirkung hat, wenn man mit Schülern KZ-Gedenkstätten besucht, als wenn man sich nur einen Gedenkstein ansieht. "Wir müssen die Emotionen nutzen und die Kognition vertiefen", sagt er. In einer Gedenkstätte sei es möglich, die Bedeutung dessen zu vermitteln, was man sieht. Es gehe, so betont Beck, nicht darum, die Bevölkerung anzuklagen. Sondern darum zu verhindern, dass sich Dinge wiederholen. Im Gespräch ist ihm anzumerken, wie sehr es ihm emotional zusetzt, dass heute Neonazis in KZ-Gedenkstätten das Geschehene herunterspielen.

Dass die Vergangenheit nicht wirklich gänzlich vergangen ist, darauf machte auch die SPD-Stadträtin Anette Christian ihre Stadtratskollegen aufmerksam. Die während der NS-Zeit in Kliniken menschenverachtend durchgeführte Forschung habe Ergebnisse erbracht, die "heute noch zum Kanon des Wissens in Deutschland gehören", sagte Christian, die selbst Ärztin ist. "Wir lernen heute Medizin auf dieser Basis."

Über "Radikalisierungsprozesse in der Psychiatrie – Von der Reformpsychiatrie der Weimarer Republik zur ,Euthanasie‘ in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen" hält am Donnerstag, 7. Februar, 19 Uhr, der Psychoanalytiker Hans-Ludwig Siemen im VHS Club International, Friedrichstraße 17, einen Vortrag. Unter dem Titel "Die gegenwärtige Lage macht die Verlegung einer großen Zahl von Kranken notwendig" spricht Julius Scharnetzky, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der KZ-Gedenkstätte

Flossenbürg über "die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen und die nationalsozialistischen Krankenmorde" am Dienstag, 19. Februar, 19 Uhr, in der Stadtbibliothek.

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