In Erlangen ist der Rollstuhl ein Sportgerät für alle

29.5.2016, 18:02 Uhr
In Erlangen ist der Rollstuhl ein Sportgerät für alle

© Harald Sippel

Für Lionel Messi ist der kleine Slalom kein Problem. Auch Bastian Schweinsteiger kurvt schnell durch den Parcours. Und das im Rollstuhl, nur angetrieben durch die Kraft seiner Arme. Was sich nach einem gewöhnungsbedürftigen Training bekannter Fußballer anhört, ist Alltag bei der Kinder-Rollstuhlgruppe des TV 1848 Erlangen. Einige Kinder trainieren im Trikot ihrer Lieblingsspieler.

Wer hierher kommt, sitzt im Rollstuhl – zumindest für die eine Stunde am Freitagnachmittag. Der Rollstuhl verbindet, egal, ob die Kinder eine Behinderung haben oder nicht. Wer mitspielen will, setzt sich hinein – und rollt los.

"Für die Kinder ist der Rollstuhl ein Sportgerät wie ein Fahrrad", sagt Günther Beierlorzer, der sportliche Leiter des Vereins. "Die einzige Voraussetzung ist, dass man damit fahren kann."

Die Brüder Tim und Marvin kommen jede Woche in die Halle des Emmy-Noether-Gymnasiums, um gemeinsam Sport zu treiben. Marvin sitzt seit einem Gehirntumor dauerhaft im Rollstuhl, sein Bruder Tim immer freitags für eine Stunde. Anders sei es schon, sagt Tim, "aber nur so können wir zusammen Sport machen". Das ist Bruderliebe.

Dass sie das überhaupt können, haben sie Katharina Hirschbeck zu verdanken. Die junge Frau hat die Gruppe vor fünf Jahren gegründet. Warum? „Ich habe meine Abschlussarbeit an der Uni über Kinder- und Jugend-Rollstuhlsport geschrieben und festgestellt, dass es etwas Vergleichbares in der Gegend nicht gibt.“ Immerhin gab es beim TV eine Erwachsenengruppe, so dass dort die Idee dankend aufgenommen wurde.

Und dennoch ging es anfangs nur schleppend voran, erzählt die Gründerin. Erst im Laufe der Zeit brachten immer mehr Kinder ihre Freunde mit – auch, weil es im Umkreis von mehr als 60 Kilometern kein vergleichbares Angebot gibt: Die nächsten Gruppen existieren in Ingolstadt und Bayreuth.

Für ihr Engagement haben die Erlanger schon Preise bekommen: den Inklusionspreis der Stadt Erlangen und verschiedene "Sterne des Sports", das ist eine Auszeichnung der VR-Bank. Für den goldenen Stern reisten ein paar Kinder sogar nach Berlin.

Für Messi und Schweinsteiger steht heute Handball auf dem Trainingsplan. So verschieden wie die Kinder hier sind, so verschieden sind auch ihre Behinderungen. Es gibt Epileptiker, Spastiker, andere haben Knochenschäden. Doch wenn es darum geht, einen Ball in ein Tor zu werfen, ist all das vergessen, ist jeder gleich. Aus jedem einzelnen Gesicht spricht in diesen Minuten die pure Lebensfreude.

Tomke hat eine Hüfterkrankung und kann nur ein Bein belasten, spielt aber Rollstuhltennis. Finn ist querschnittsgelähmt und spielt Rollstuhlbasketball. "Und manchmal gehe ich schwimmen", sagt Tomke. Große Augen bei Finn. "Eeeecht? Wie geht das mit einem Bein?", fragt er.

Auch das ist die Rollstuhlgruppe: ein Ort, um sich auszutauschen über das Leben mit Behinderung. Für Marvin, Tim, Tomke und Finn – aber auch für ihre Eltern, die derweil draußen warten.

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