Jenseits des Gewohnten

10.4.2012, 00:00 Uhr
Jenseits des Gewohnten

© Harald Hofmann

Die Johannes Passion gehört für viele Menschen zu Karfreitag aus lang geübter Tradition – die Aufführung, von der hier berichtet werden soll, führte jedoch in eine Dimension jenseits von Brauch und Sammlung.

Akribisch hatte Kirchenmusikdirektor Wieland Hofmann die zum mächtigen Chor verstärkte Dreifaltigkeitskantorei bis ins letzte Detail fein geschliffen, so dass dieser in allen Stimmen prächtige Klangkörper flexibel in seine so unterschiedlichen Rollen schlüpfen konnte. Klang gewordene Inbrunst paart sich schon in der Lobpreisung des Eingangschorals mit bestaunenswerter Wortverständlichkeit und lupenreiner Intonation in den schier unendlichen Läufen.

Der Chor präsentiert sich aber auch als wuselig aufgeregte, den Messias suchende „Fans“, die sehr schnell giftig werden, ja tödlich, wenn sie als hysterische Masse die Kreuzigung Jesu fordern. Diesem Jesus gibt Egbert Junghanns seinen dunklen, runden Bass. Oft sind es nur ein paar rezitativische Worte, die er ansatzlos in das Geschehen einbringen muss, ohne sich auf Kantilenen stützen zu können. Hingabe, Resignation und Fürsorge, all das bündelt er in den wenigen Takten, die Bach ihm bietet.

Uwe Stickert realisiert den Evangelisten als strahlenden Herold, in Rezitativ und Arien gleichermaßen überzeugend. Er findet genau die richtige Mischung aus Dokumentatoren-Distanz und erzählerischer Anteilnahme.

Glanzlichter

Kammermusikalische Glanzlichter setzt Bhawani Moennsad (Alt) zusammen mit Rosemarie Kurz (Flöte) und Ralf Jörg Köster (Oboe). Den Moment der Erkenntnis, dass Jesus für unsere Sünden leidet, gestalten sie mit tiefer Innigkeit. Besonders in seiner Rolle als Pilatus überzeugt Dariusz Siedlik. Sein donnernder Bass kämpft für Jesus gegen die mordlustige Menge, der er aber schließlich doch mit einem ecce homo, das Schauern macht, nachgibt. Einer Friedenstaube gleich schickt die Sopranistin Katharina Müller ihre Arien in den Himmel. So unbemüht gelingen ihr die Koloraturen, so rein ist ihre Intonation bei den chromatischen Anforderungen, dass der Inhalt ihrer zweiten Arie, der Tod Jesu, in den Hintergrund tritt.

Die Münchner Bachsolisten, mittlerweile mit der Dreifaltigkeitskantorei schon fast „verwachsen“, zeigten eine Spielfreude und Flexibilität, die alles ermöglichte: großen Ton und intime Atmosphäre. Wieland Hofmann kann die Stationen auf dem Leidensweg Christi dank der genauen Vorarbeit in aller Deutlichkeit gestalten. Tempoänderungen werden sofort organisch umgesetzt, Dynamik kann er nach Wunsch dosieren – jeder Mitwirkende ist permanent präsent. Das Publikum ließ sich von diesen großartigen Leistungen gefangennehmen, ging den Weg mit und verharrte nach dem kraftvollen „Ich will Dich preisen ewiglich“ in ergriffenem Schweigen. Die Johannes Passion war zu einem spirituellen Erlebnis geworden, das noch lange nachwirkte.

Keine Kommentare