Mit einem Gummischlauch mitten ins Herz

28.8.2014, 18:48 Uhr
Mit einem Gummischlauch mitten ins Herz
Mit einem Gummischlauch mitten ins Herz

© Archivfoto: Heinz-Jürgen Göttert/dpa

Es ist ein heißer Junitag im Jahr 1929, als der junge Assistenzarzt Werner Forßmann (1904—1979) durch die Räume der Auguste-Victoria-Klinik Eberswalde in Brandenburg schleicht. Er will heimlich die Mittagspause nutzen, um einen waghalsigen Selbstversuch durchzuführen: Er möchte sich einen eingeölten Blasenkatheter aus Kautschuk über einen Venenzugang bis ins Herz schieben, um es mittels Röntgendiagnostik untersuchen zu können. Heute in der Kardiologie unverzichtbar und häufig angewandt, erscheint eine Herzkatheteruntersuchung 1929 noch als ziemlich verrückte Idee. Werner Forßmann hat es dennoch gewagt.

Gerade erst 25 Jahre alt, hatte Werner Forßmann erst vor kurzem seine Approbation zum Arzt erhalten. Bis dahin haben nur wenige Ärzte mit dem Einführen von Gefäßkathetern an Leichen und Tieren experimentiert. Am lebenden Menschen hat es noch niemand gewagt. Für Herzuntersuchungen nutzt man zu dieser Zeit vor allem Röntgenuntersuchungen oder Elektrokardiogramme, bis Forßmann seine Idee in die Tat umsetzt. Er will es jetzt endlich wissen und beschließt, sich selbst einen Blasenkatheter bis in die rechte Herzkammer zu schieben. Es gelingt ihm auf Anhieb ohne Komplikationen.

Forßmann plant seinen ersten Selbstversuch minutiös und beweist damit Mut und Finesse zugleich: Er nutzt die ruhige Zeit der Mittagspause im Krankenhaus, da er alles heimlich machen muss. Von Kollegen und seinem damaligen Chefarzt erhält er für dieses Experiment keine Unterstützung.

Doch es gelingt ihm trotzdem: Der Schlauch steckt bereits in seinem Körper, als er in das Röntgenzimmer läuft, um den Versuch zu vollenden und mit Hilfe einer Röntgenaufnahme zu dokumentieren. In seinen Erinnerungen beschreibt Forßmann später: „Der Katheter ließ sich spielend leicht 35 cm hoch einführen.“ Und in einem zweiten Anlauf erreicht er dann nach 65 cm die rechte Herzkammer. Die Aufnahme von Forßmanns Herz mit dem Schlauch darin ist auch im Siemens MedMuseum in Erlangen zu sehen.

Im November 1929 veröffentlicht die „Klinische Wochenschrift“ die Beschreibung von Forßmanns Selbstversuch. Doch seine ungewöhnliche Methode stößt anfangs auf wenig Resonanz in der Fachwelt. Zu dieser Zeit arbeitet er bereits an der renommierten Berliner Charité und hofft daher auf Unterstützung des dort tätigen Chirurgen Ernst Ferdinand Sauerbruch.

Doch Sauerbruch ist derart entrüstet über Forßmanns Selbstversuch und die Veröffentlichung, dass er ihn entlässt. Sauerbruchs Kommentar: „Mit solchen Kunststücken habilitiert man sich in einem Zirkus und nicht an einer anständigen deutschen Klinik.“ Wie sehr sich Sauerbruch doch täuschen sollte – noch heute gilt die Herzkatheteruntersuchung als Goldstandard in Diagnose und Therapie der Koronaren Herzkrankheit (Herzgefäßerkrankung). Im Jahr 2012 wurden alleine in Deutschland über 950.000 Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt – bei über einem Viertel davon wurden die Herzgefäße noch während dieses Eingriffs erweitert. Unverzichtbar zur Darstellung von Katheter und Gefäße ist dabei die Röntgenkontrolle.

Bei Herzkatheteruntersuchungen handelt es sich um minimal-invasive Eingriffe. Sie sind eine wichtige Methode zur Diagnose und Behandlung von Herzerkrankungen verschiedenster Art – wie etwa der Befundung von Herzkranzgefäßen mittels der sogenannten Koronarangiographie. Dabei wird Kontrastmittel in die Herzkranzgefäße injiziert. Erkennt man bei der Untersuchung eine Verengung oder gar ein Verschluss der Gefäße, können diese über einen speziellen Ballon ausgedehnt und die Implantation einer Gefäßstütze (Stent) therapiert werden.

Forßmann wird übrigens erst im Jahr 1956 für seinen waghalsigen Eigenversuch belohnt. Er erhält für seine grundlegenden Arbeiten zur Herzkatheterdiagnostik – zusammen mit André Cournand und Dickinson Richards – den Nobelpreis für Medizin.

Siemens MedMuseum, Gebbertstraße 1. Geöffnet: Di.—Fr. 10—17, Samstag 11—19 Uhr, der Eintritt ist frei.

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