Nach Kanal-Unglück in Vach: Leon ist zurück im Leben

25.1.2016, 18:15 Uhr
Nach Kanal-Unglück in Vach: Leon ist zurück im Leben

© Horst Linke

Am frühen Sonntagnachmittag des vierten Advents lädt Marcus J. gerade sein Auto aus, als der Freund seines sechsjährigen Sohns angerannt kommt. „Es ist etwas passiert!“, ruft er ihm zu. „Der Leon ist in den Kanal reingefallen!“

Der 47-Jährige rennt zur Kaimauer, Passanten am gegenüber liegenden Ufer zeigen ihm die Stelle, an der sein Sohn ausgerutscht und in den Kanal gefallen war. Marcus J. springt sofort hinein, taucht immer wieder in das gut zwei Meter tiefe, trübe Wasser des Main-Donau-Kanals.

Er bekommt am Grund etwas zu fassen, zieht es hinauf. Aber es ist nur ein Sandsack. Beim nächsten Tauchgang hat er Erfolg: Er greift Leons Arm, zieht ihn gemeinsam mit der Polizistin, die inzwischen vor Ort ist, aus dem Wasser. „Da gab es kein Lebenszeichen mehr, nix mehr“, erzählt der Vater. Ein Polizist belebt ihn wieder. Ein Hubschrauber, die Feuerwehr und drei Rettungswagen sind inzwischen am Einsatzort im Fürther Stadtteil Vach. Leons Körpertemperatur beträgt gerade einmal 24 Grad, als er ins Uniklinikum nach Erlangen gebracht wird.

Kurz vorher ruft die Rettungsleitstelle zuhause bei Oberarzt Hans-Georg Topf an. Er hat Bereitschaftsdienst. Nur etwa die Hälfte der Besetzung ist vor Ort: Es ist schließlich Sonntagabend und kurz vor Weihnachten. Eine Viertelstunde später steht er im Universitätsklinikum und bereitet die Geräte und das achtköpfige Team im Schockraum auf ihren Einsatz vor.

Denn nach so langer Zeit unter Wasser ist von dem Schlimmsten auszugehen: Sauerstoffmangel kann zu schweren Hirnschäden und sogar zum Hirntod führen. Leon ist deutlich unterkühlt, die Temperatur seines Körpers liegt 13 Grad unter dem Normalmaß. Und das ist sein Glück. Denn die Kälte schützt seinen kleinen Körper vor dem Tod. Je kälter die Temperatur des Körpers, desto weniger Sauerstoff benötige er, erklärt Hans-Georg Topf. „Wäre der Junge sofort an der Unfallstelle aufgewärmt worden, wäre das fatal gewesen.“ Stattdessen erwärmt sein Team Leons Blut ganz allmählich: Rund 0,3 Grad pro Stunde.

Gegen Mitternacht gibt es dann noch große Aufregung auf der Station: Leons Lunge versagt. Die Ärzte schließen den Jungen an die Herz-Lungen-Maschine an. „Wir haben mit dem Allerschlimmsten gerechnet, als das Handy dann um 3.30 Uhr klingelte,“ erzählt Leons Vater. Doch der Anruf der Ärzte bedeutet Gutes, sie können den Eltern wieder etwas Mut machen: „Leons Zustand ist stabil“, heißt es.

In den darauf folgenden Tagen wachen die Eltern, Sandra und Marcus J., am Krankenbett. Sie beten, dass ihr Junge wieder aufwacht.

Am Heiligabend öffnet Leon dann das erste Mal nach dem Unfall kurz seine Augen, die Ärzte lassen ihn aber noch einen Tag schlafen. Am ersten Weihnachtsfeiertag, nach fünf Tagen im Koma, wacht Leon vor den Augen seiner Eltern auf. „Hallo Mama, hallo Papa“, sind seine ersten Worte.

Inzwischen ist Leon wieder zu Hause bei seinen fünf Geschwistern. Er geht in die 1. Klasse, am liebsten fährt er Rad oder Skateboard. „Leon ist wieder derselbe Wirbelwind wie früher“, freut sich seine Mutter. „Man merkt ihm nicht an, dass er so einen schweren Unfall hatte.“

Zwischenzeitlich war die 42-Jährige mit ihren Kräften am Ende: „Der Tag, an dem er in den Kanal gefallen ist, war der schlimmste Tag in unserem Leben“, erzählt sie.

An den Unfall kann sich Leon selbst kaum erinnern. „Es ist einfach ein Wunder“, ist Sandra J. überzeugt. Er hat keinerlei bleibende Schäden und ist gesund und munter.

Nur wenige Wochen nach dem Unfall konnte Leon schon wieder Witze machen: „Am Anfang hat er mir als Spaß erzählt, er hätte im Kanal einen Hai gesehen – den hätte er streicheln wollen und sei dabei ins Wasser geplumpst.“

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