Nobelpreisträger in Erlangen

14.7.2018, 19:00 Uhr
Nobelpreisträger in Erlangen

© Harald Sippel

Herr Prof. zur Hausen, Krebs ist noch immer eine der häufigsten Todesursachen. Wo steht die Krebsforschung heute?

Harald zur Hausen: In den vergangenen zwei bis vier Jahrzehnten haben Wissenschaftler deutliche Fortschritte erzielt, die zu einer weltweiten Absenkung der Sterblichkeit führten. Aber es mangelt an der Vorbeugung. Und die Therapien müssen weiter verbessert werden.

Können Sie dies konkretisieren?

Harald zur Hausen: Die Hauptherausforderung liegt in der Prävention, um das Auftreten von Krebs zu vermeiden. Das kann gelingen, wenn wir die Ursachen der Erkrankung sorgfältig analysieren. Genauso wichtig ist es, durch Impfungen vorzubeugen und mit Frühtherapien schwerwiegende Folgen zu bereinigen, dies betrifft zum Beispiel auch Colonkrebs.

Anfangs belächelt, entdeckten Sie, dass sogenannte humane Papillomviren (HPV) Gebärmutterhalskrebs, die bei Frauen dritthäufigste Krebserkrankung, auslösen können. Dafür erhielten Sie 2008 den Nobelpreis für Medizin. Ihre Forschung führte schließlich zur Entwicklung eines Impfstoffes, der vor einer HPV-Infektion schützt und der 2006 zugelassen wurde. Wie zufrieden sind Sie damit?

Harald zur Hausen: Ich bin teilweise zufrieden. Denn die Impfungen bei Mädchen im Alter zwischen 9 und 14 Jahren werden nur zu maximal 40 Prozent in den Bundesländern wahrgenommen, und das erst jetzt, viele Jahre nach der Entwicklung des Impfstoffes.

Seit einigen Jahren erforschen Sie Dickdarm- und Brustkrebs. Was haben Sie bisher erreicht?

Harald zur Hausen: Wir glauben, dass wir uns auf einem guten Weg befinden. Wir haben bestimmte infektiöse Faktoren identifiziert, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Dickdarmkrebs, aber auch Brustkrebs spielen. Mittlerweile sehen wir deutlich die Zusammenhänge, die zur Entstehung dieser beiden Erkrankungen führen. Uns interessiert die Frage, ob die Ernährung mit Rindfleisch und Kuhmilchprodukten Krebs erregen kann. Ich rate jetzt aber keinesfalls dazu, auf den Konsum von Rindfleisch und Milch zu verzichten.

Sie werden also niemals müde zu forschen?

Harald zur Hausen: Ich freue mich, dass ich trotz meines hohen Alters von 82 Jahren weiterarbeiten kann. Wir wollen gerade bei Dickdarm- und Brustkrebs spezifisch alle Möglichkeiten zur Vorbeugung von Virusinfektionen ventilieren und Menschen schützen. Ich bin ein wahnsinnig neugieriger Mensch und ich will die Ursachen kennen, die sich hinter Krankheiten verbergen. Das hat mich mein ganzes Leben lang angetrieben.

Wie bewerten Sie den Wissenschaftsstandort Deutschland insgesamt und die Erlanger Forschung im Speziellen?

Harald zur Hausen: Deutschland hat sich gut entwickelt und zum Beispiel viele Nachwuchsgruppen und neue Professuren geschaffen. Außerdem sind die Verbindungen zwischen Universitätsforschung und Großforschungseinrichtungen, wie etwa dem Max-Planck-Institut, enger geworden, dies nutzt beiden Seiten. In Bezug auf Erlangen habe ich immer ein weiches Herz, hier ist die Entwicklung sehr erfreulich, auch wenn Erlangen immer in Konkurrenz zu München steht. Doch Erlangen setzt sich erfreulich ein und ist gut sichtbar.

Inwiefern hat der Nobelpreis 2008 Ihr Leben verändert?

Harald zur Hausen: Relativ stark. Noch heute bekomme ich fast täglich Einladungen zu Fachbeiträgen und Stellungnahmen auf den Tisch, die ich gar nicht alle wahrnehmen kann. Ich habe mich über den Nobelpreis gefreut und ihn als Ansporn empfunden, frei nach dem Motto "Jetzt erst recht".

Sie arbeiteten von 1972 bis 1977 in Erlangen, leiteten in dieser Zeit als Gründungsdirektor das Virologische Institut. Was bedeutet die Erlanger Zeit für Sie privat wie beruflich?

Harald zur Hausen: Ich habe im Erlanger Labor meine heutige Ehefrau kennengelernt, sie kam damals zu mir als Stipendiatin. Persönlich durfte ich ein neues Institut aufbauen, in Erlangen habe ich meine grundlegende wissenschaftliche Forschung über die humanen Papillomviren begonnen. Aber erst in Freiburg haben wir die Arbeit erfolgreich abschließen können.

Warum haben Sie überhaupt Erlangen verlassen und sind an den Lehrstuhl für Virologie und Hygiene der Universität Freiburg gewechselt?

Harald zur Hausen: Das habe ich mich im Nachgang auch sehr oft gefragt. In Erlangen war es das Paradies, die Unterstützung durch die Universitätsleitung war phänomenal. So habe ich sie in Freiburg nicht erlebt. Doch in Freiburg sah ich größere Möglichkeiten, unsere wissenschaftlichen Aktivitäten in breiterem Umfang zu entfalten. Ich bin später von Freiburg mit deutlich leichterem Herzen weggegangen als von Erlangen.

Für die Einweihung des nach Ihnen benannten Hörsaals im alten Uniklinikum und für die Eröffnung des Immuntherapiezentrums kehren Sie nach Erlangen zurück. Worauf fällt Ihr Blick zuerst in dieser Stadt?

Harald zur Hausen: Ich bin ein- bis zweimal im Jahr in Erlangen, dann besuchen wir die Plätze, an denen wir gearbeitet haben. Als Naturmensch liebe ich zudem die Fränkische Schweiz.

Gibt es in der Stadt keinen Ort, an dem Sie damals verweilten?

Harald zur Hausen: Ich bin ein Mensch, der sein Leben lang intensiv gearbeitet hat. Wir wohnten damals in Bräuningshof, dort war der Ort, an dem ich nachdachte.

Was müsste geschehen, damit zukünftig mehr Nobelpreisträger aus Deutschland kommen?

Harald zur Hausen: Wir müssen bei vorgefertigten Meinungen sehr viel mehr nachhaken, kritisch hinterfragen und mehr Antworten finden, intensiver arbeiten und uns nicht ständig "überfahren" lassen. Und einfach ein bisschen mehr querdenken.

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