Thomas Hettche beim Poetenfest

23.8.2010, 00:00 Uhr
Thomas Hettche beim Poetenfest

© Koelbl

Nicht nur das Kind wird einem genommen, sondern man sich selbst. Rechtelos gegenüber dem eigenen Kind wie ein Kind, wird man selbst wieder eines." Diese Erfahrung teilt Peter, Buchhandelsvertreter mittleren Alters, seit Jahren mit anderen Vätern unehelicher Kinder. Nur schwer kann er sich behaupten gegenüber Ines, seiner früheren Lebensgefährtin und Mutter der gemeinsamen 13-jährigen Tochter Annika. Gleichermaßen lebensuntüchtig wie berechnend instrumentalisiert sie - teils erpresserisch, teils aus Gehässigkeit - das allein ihr zugesprochene Sorgerecht, um materiell und psychisch Druck auf ihn auszuüben.

Ein Urlaub, allein mit der Tochter auf Sylt, soll dies ändern. Denn mit der Nordseeinsel verbindet Peter rundum positive Erinnerungen - insbesondere an seine Mutter, die als ideales Gegenbild zu Ines erscheint. Doch aus dem erhofften emotionalen Befreiungsschlag wird nichts, ausgerechnet in der Silvesternacht verliert Peter die Selbstbeherrschung, ohrfeigt aus vergleichsweise nichtigem Anlass Annika - und riskiert damit, die ersehnten Annäherungsversuche zunichte zu machen. Thomas Hettche erzählt in seinem neuesten Roman nicht nur von der Liebe der Väter, sondern auch von deren Leiden: von Ohnmacht, unterdrücktem Schmerz und enttäuschten Hoffnungen; vom Gefühl des Ausgeschlossenseins beziehungsweise Ausgeliefertseins; vom zermürbenden, oft aussichtlosen Kampf gegen Justitias Windmühlen.

Es scheint, als schriebe sich Hettche - aufgrund eigener Betroffenheit parteiisch - erfahrene Verletzungen und Demütigungen von der Seele: Eindeutig und wissentlich einseitig bezieht er Stellung, auch in eigener Sache. Er tut dies mit zum Teil verstörender Offenheit, beispielsweise dann, wenn er beklemmend freimütig Peters nur mühsam unterdrückte Gewaltphantasien thematisiert. Erst unlängst hat der Bundesgerichtshof die Rechte der Väter unehelicher Kinder gestärkt, wodurch "Die Liebe der Väter" unerwartet gesellschaftspolitische Aktualität erfährt. Andererseits verleiht Thomas Hettche in seinem verschreckend ehrlichen, teilweise larmoyanten, in jedem Fall aber bislang persönlichsten Buch den vom BGH-Urteil betroffenen Vätern und Kindern eindrucksvoll Stimme und Gesicht.


Thomas Hettche: Die Liebe der Väter. Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 16,95 Euro.

 

Keine Kommentare