Verkehrsberuhigte Erlanger Innenstadt mehr als eine Vision

25.9.2015, 06:00 Uhr
Verkehrsberuhigte Erlanger Innenstadt mehr als eine Vision

© Harald Sippel

Die Straßen der Erlanger Innenstadt platzen aus allen Nähten, die Zufahrtsstraßen sind überlastet, Staus die Regel. Und wenn sich die innerstädtische wie die hereinströmende Blechlawine über die ausgewiesenen Parkplätze ebenso verteilt hat wie sinnwidrig die Wohnstraßen verstellt, ist dies bloß die kleine Atempause, bis sich am späten Nachmittag das Ritual wiederholt - diesmal in umgekehrter Richtung.

Für die Verkehrsplaner bleibt es deshalb oberstes Ziel, den Autoverkehr zu reduzieren, ohne der Mobilität der Verkehrsteilnehmer zu schaden. Die zentrale These ist ebenso steil wie einleuchtend: Wenn man den Autoverkehr in einer Stadt einschränken will, muss man den Autofahrern die Parkplätze wegnehmen.

Der ältere Herr, der diese These leise lächelnd vertritt, hat dabei so gar nichts Militantes an sich, und die Art seiner in breitem wienerischen Tonfall vorgetragenen These lässt eher auf eine Märchenstunde schließen, denn auf ein brisantes verkehrspolitisches Thema. Dass er dann auch noch mit einem an sich selbst praktizierten Beispiel – ein Gestell lässt ihn als Passant den Platzbedarf eines Automobils simulieren – die Lacher auf seiner Seite hat, nimmt dem Vorschlag weitere Schärfe.

Zwei ausgewiesene und international anerkannte Verkehrsexperten, der (emeritierte) Wiener Hochschullehrer Hermann Knoflacher und der Dresdner Prof. Gerd-Axel Ahrens nahmen die achte öffentliche Sitzung des Forum für die Entwicklung eines neuen Verkehrsentwicklungsplans (VEP) zum Anlass, über die zukünftige Bedeutung des motorisierten Individualverkehrs zu referieren und Grundzüge einer gewandelten Mobilitätsplanung aufzeigen. Ihr Thema „Wie soll künftig der motorisierte Verkehr in Städten aussehen?“ ließ ebenso wie die erwähnte Eingangsthese erahnen, dass sie mit den bestehenden Zuständen in den meisten Städten (und auch in Erlangen) nicht zufrieden sind.

Im Würgegriff des Autos

Den Autoverkehr begrenzen wollen auch der städtische Stadtplanungsreferent Josef Weber und sein Verkehrsplaner Christian Korda. Sie sind natürlich dankbar für die beiden Referenten, die – unterstützt von vielen Grafiken und Statistiken – die Idee einer autogerechten Stadt in die Mottenkiste der Nachkriegs-Stadtplanung zurückverweisen. Wohl wissend, dass das Auto (verkehrswissenschaftlich: MIV, motorisierter Individualverkehr) die meisten Städte immer noch im Würgegriff hat.

Die Forderung lautet deshalb auch nicht einfach nur „Raus mit den Autos!“, sie lautet vielmehr: Beibehaltung einer hohen Mobilität der Stadtbevölkerung bei gleichzeitiger Senkung des Autoverkehrs. Denn dass eine hohe Mobilität nicht nur ein günstiger Wirtschaftsfaktor, sondern auch Ausdruck einer lebendigen Stadtkultur ist, ist für beide Forscher unbestreitbar.

Und Erlangens gegenwärtig entstehender Verkehrsentwicklungsplan, der eine Reichweite bis ins Jahr 2030 und darüber hinaus für sich proklamiert, will genau dies: eine umwelt- und menschenfreundliche Mobilität, die als Lust und nicht als Last empfunden wird.

Knoflacher und Ahrens lassen auch keine Zweifel daran aufkommen, dass sich die Lebensverhältnisse bessern, wenn die Nutzung des Automobils (das sie auch nicht verteufeln wollen) einer neuen Zweckrationalität untergeordnet wird. Ahrens hat ein schönes Beispiel für Lernprozesse in der Bevölkerung: „Die Einwohner sind bei Fußgängerzonen immer zwei Mal dagegen: Erstmals, wenn sie eingeführt werden, zum zweiten Mal, wenn man sie ihnen wieder wegnehmen will.“

Zeit auf der Seite

Und er und Knoflacher bringen zahlreiche Beispiele dafür, dass verkehrsberuhigte (Innen-)Städte innerhalb kürzester Zeit den einstigen erbitterten Widerstand dagegen haben verstummen lassen, dass selbst maßvolle Veränderungen (weniger Fahrspuren, gemeinsame Verkehrsbereiche für alle Verkehrsarten) ein freundlicheres Klima schaffen.

Und sie sehen die Zeit auf ihrer Seite. Die junge Generation sei weit weniger Auto-affin als die Älteren, der öffentliche Nahverkehr gewinne an Attraktivität bei der „Generation Smartphone“, es gebe Großstädte wie Berlin, in denen mehr als die Hälfte aller Haushalte ohne Auto auskomme.

Und Firmen und große Einrichtungen (wie Unis) könnten Einfluss nehmen, indem sie ihren Mitarbeitern und Besuchern den öffentlichen Verkehr schmackhaft(er) machten. Firmennahe Parkplätze als „Gehaltszusatz“ verböten sich dann allerdings.

Der Erlanger VEP wird weiterentwickelt. Demnächst mit einer Studie zum Autoverkehr in der Stadt. Wohin die Reise gehen könnte, haben diesmal zwei Verkehrsforscher skizziert. Der Beifall war unüberhörbar.

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