Wo Erlanger schneller zapfen als der eigene Schatten

7.2.2016, 06:00 Uhr
Prost: Das frisch gezapfte Bier am Stand des Internationalen Comic-Salons fand rasch Abnehmer.

Prost: Das frisch gezapfte Bier am Stand des Internationalen Comic-Salons fand rasch Abnehmer.

Seit über 40 Jahren findet in der pittoresk auf einem Hügel liegenden Kleinstadt jährlich am letzten Januarwochenende mit dem Festival International de la Bande Dessinée das wichtigste Comic-Ereignis Europas statt. Rund 200 000 Besucher schieben sich an vier Festivaltagen durch die engen Gassen der Altstadt, in der alle Straßenschilder die Form von Sprechblasen haben, Fassaden mit Comic-Motiven bemalt sind und die Hauptstraßen „Rue Hergé“ oder „Rue Goscinny“ heißen. Riesige Zelte mit Messeständen der großen französischsprachigen Verlage und Tausende signierende Zeichnerinnen und Zeichner ziehen ebenso die Besucher an, wie die über das ganze Stadtgebiet verteilten Ausstellungen, unter anderem im Nationalen Französischen Zentrum für Grafische Literatur und Bildkunst. Nicht umsonst ist der französischsprachige Comic-Markt einer der größten und bedeutendsten weltweit.

Auch die Organisatoren des Internationalen Comic-Salons Erlangen reisen jedes Jahr nach Angoulême, um Eindrücke zu sammeln, Kontakte zu Künstlern, Veranstaltern und Verlegern zu pflegen und Vereinbarungen für den Erlanger Salon zu treffen. Erstmals war der Internationale Comic-Salon Erlangen in diesem Jahr mit einem eigenen Stand vertreten.

Am zweiten Festivaltag versammelten sich Hunderte von Fachbesuchern, Verlegern und Festivalveranstaltern aus ganz Europa am „Deutschen Stand“. Der Internationale Comic-Salon Erlangen hatte zum „Pot Franconien“, zum fränkischen Umtrunk geladen. Zwei Fässer Steinbach-Bier, herzhaftes Bauernbrot und Nürnberger Rostbratwürstchen, vom Comic-Salon-Team eigens mit einem Kleinbus ins 1300 Kilometer entfernte Angoulême transportiert, reichten gerade einmal eine gute halbe Stunde. Aber – darüber waren sich alle Gäste einig – man wird in Angoulême noch Jahre von diesem außergewöhnlichen Messe-Empfang sprechen . . .

Neben den Verpflichtungen am eigenen Stand und zahlreichen offiziellen Terminen wurden natürlich auch die diesjährigen Angoulêmer Ausstellungen durch die Mitarbeiter des Kulturamts in Augenschein genommen. Ein Höhepunkt war die Ausstellung der Werke des 2001 verstorbenen belgischen Lucky Luke-Zeichners Morris. Selbst Comic-Experten zeigten sich von der Qualität der Originale überrascht, von der Dynamik der einzelnen Panels, von der Virtuosität, mit der Morris den Kontrast von Schwarz und Weiß, von Licht und Schatten eingesetzt hat. Den Klassiker vom Cowboy, der schneller schießt als sein eigener Schatten, wird man nach dieser Ausstellung mit ganz anderen Augen lesen.

Wo Erlanger schneller zapfen als der eigene Schatten

© Fotos: Kulturamt

Ein weiterer Klassiker ist die Comic-Serie „Corto Maltese“ des vor zwanzig Jahren verstorbenen Italieners Hugo Pratt. Ihm war eine weitere Ausstellung gewidmet, die den Künstler in neuem Licht erscheinen ließ: In einer Schau zwischen Literatur und Comic-Kunst wurde Pratts Verehrung von Schriftstellern wie Robert Louis Stevenson, Arthur Rimbaud, Jack London oder Jorge Luis Borges thematisiert. Seine Bibliothek soll 30 000 Bände umfasst haben. Pratts literarischen Reflexionen wurden in der Angoulêmer Ausstellung jeweils passende Blätter aus seinem umfangreichen zeichnerischen Werk gegenüber gestellt.

Literarische Geschichten

Eine ganz andere Persönlichkeit, aber für die Gegenwart und Zukunft der grafischen Literatur nicht weniger bedeutend, ist der Comic-Visionär und Revolutionär Jean-Christoph Menut, dem die dritte große Ausstellung in Angoulême gewidmet war. Vor zwanzig Jahren begann er die Comic-Welt, die bis dahin entweder von Abenteuer-Geschichten oder Funnies geprägt war, mit seinen literarischen, autobiografisch geprägten Geschichten auf den Kopf zu stellen. Er gründete den Verlag „L’Association“, der Weltstars wie die Iranerin Marjane Satrapi und ihren Bestseller „Persepolis“ hervorbrachte, und ohne den der zeitgenössische Autorencomic und die deutsche Graphic-Novel-Bewegung undenkbar wären.

So erfolgreich das diesjährige Festival in Angoulême über die Bühne ging, von einem Skandal blieb es dennoch überschattet: Bis in die deutschen Medien reichte die Debatte darüber, dass unter den 30 für den Grand Prix von Angoulême nominierten Künstlern keine einzige weibliche Zeichnerin vertreten war. Zahlreiche Künstler zogen als Reaktion darauf ihre Nominierung zurück, sogar von einem Angoulême-Boykott war die Rede. Ein Glück für den Internationalen Comic-Salon Erlangen, dass die ursprünglich männlich dominierte Comic-Szene in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend von Künstlerinnen aufgemischt wird. Mit Ulli Lust, Isabell Kreitz, Daniela Winkler, Rossi Schreiber, Nadia Budde und Anke Feuchtenberger wurden in den letzten Jahren allein sechs Frauen mit dem Max und Moritz-Preis ausgezeichnet und in der siebenköpfigen Max und Moritz-Jury 2016 sind drei Frauen vertreten.

Man darf also optimistisch sein, dass in Zukunft kein Besucher des deutschen Stands in Angoulême mehr sagen wird: „Ja, deutsche Comics kenne ich: ,Werner‘!“.

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