Abgründe hinter der Fassade

19.1.2015, 18:52 Uhr
Abgründe hinter der Fassade

© Foto: Udo Güldner

Blumenmeere, Telefonterror, Pralinenlawinen und herrenlose Pantoffeln unter dem Bett der Geliebten. Greg hätte misstrauisch werden müssen. Aber der Naivling vom Typ „jugendlicher Liebhaber“ nimmt derlei verräterische Anzeichen hin. Überhaupt taumelt er plan- und arglos durch das Geschehen. Und fragt nur halbherzig bei seiner künftigen Verlobten Ginny nach. Die reist angeblich zu ihren Eltern aufs Land, um ihnen die Neuigkeit der bevorstehenden Heirat beizubringen.

Dass Greg ( Benjamin Jorns) zurückbleiben soll, gehört zu Ginnys Plan. Das junge Mädchen hat nämlich ein ganz anderes Reiseziel: ihren bisherigen, und baldigen Ex-Liebhaber Philip. Der, ganz der Prototyp des nicht mehr ganz frischen Lüstlings, lebt mit seiner Gattin Sheila in der Provinz, spielt Golf und Gärtner, und möchte die Affäre mit seiner früheren, viel jüngeren Angestellten Ginny (Elisabeth Therstappen) nicht beenden.

Eine sechswöchige „Dienstreise“ mit Ginny durch halb Europa soll das Unvermeidliche hinauszögern. Die dramaturgische Wendung bringt Gregs überraschende Ankunft, der seine Schwiegereltern persönlich kennenlernen möchte. Keine Frage, dass Philip und Sheila (Sandra Lava) verblüfft sind, plötzlich doch noch Eltern sein zu sollen. Gerade als sich der Knoten aufzulösen beginnt, knüpft Ayckbourn bereits den nächsten, indem er Greg bei Philip um die Hand seiner Tochter anhalten lässt. Einer Tochter, die es gar nicht gibt. Und zuletzt hat Sheila, trotz gesetzten Alters schulmädchenhaft kichernd, auch noch ein Auge auf Greg geworfen . . .

Geheimnis gelüftet

Schließlich lüftet der Autor Szene um Szene das Geheimnis, das ein misstrauischer Zuschauer bereits ahnt. Unter der von Konventionen und Understatement, von Zurückhaltung und gesellschaftlicher Form gebildeten Fassade tun sich Abgründe auf. Kaum einer, der nicht mit dem anderen schon die Laken geteilt hätte.

Die einen nehmen es mit erstaunlicher Gelassenheit hin und verziehen beim Tee keine Miene, die anderen suchen wie Philip schon einmal die Gartenhacke. Ob er sie nicht finden kann, oder ob er den Mordplan wieder unter seiner beigen Feigheit begraben hat — wer weiß. „Humor braucht man in der Ehe.“ Als alles zutage zu liegen scheint, hat Ayckbourn aber noch einen letzten Schuss im Pointen-Revolver.

Später gelingt es Ayckbourn sogar, dieses Prinzip umzukehren und die Irrungen, Wirrungen gerade dadurch zu verkomplizieren, dass alle gleichzeitig den Mund auftun. Denn plaudern tun die vier Akteure im Landhaus des älteren Ehepaares: Aber sie sagen eben nur „Halbe Wahrheiten“, oder wie es im englischen Original heißt „Relatively Speaking“. Notlügen wäre vielleicht eine passende Umschreibung. So wird das Landhaus zum Lügengebäude voll heißer Luft.

Eine solche Boulevardkomödie bedarf zweier Kniffe bei der Inszenierung: Tempo und Timing. Die geistreichen Dialoge und die Stichworte müssen sitzen. In Susanne Pfeiffers Inszenierung läuft das Uhrwerk wie am Schnürchen. Das Schauspieler-Quartett macht aus den „Halben Wahrheiten“ einen ganz wunderbaren Abend.

Die VHS-Theatersaison endet am Donnerstag 26. Februar, um 19.30 Uhr in der Jahnhalle mit dem Gastspiel des Landestheaters Dinkelsbühl: „Männer und andere Irrtümer“. Karten gibt es im Vorverkauf bei der Buchhandlung Streit am Rathausplatz.

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