„Annamateur und die Außensaiter“: Die Synapsen platzen

24.9.2014, 17:31 Uhr
„Annamateur und die Außensaiter“: Die Synapsen platzen

© Foto: Udo Güldner

Das Trio aus Anna Maria Scholz (Dresden), Christoph Schenker (Cello) und Samuel Halscheidt (Gitarre) zeigt letztmals das Programm „Screamshots“. Bewaffnet mit sechs Litern Wasser, einem Overhead-Projektor und zwei Stimmbändern gebiert die Musikkabarettistin das Chaos.

Mehr als einmal sitzt man vor Annamateur und ist verblüfft — und ratlos. Vielleicht weil gerade wieder einige Synapsen geplatzt sind. Oder weil man vom dadaistischen Silbenstrom elektrisiert wurde. Möglicherweise aber auch, weil man dem assoziativen Tempo nicht folgen konnte. Dabei scheint doch alles wohlgeordnet zu sein.

Vor dem inneren Auge entsteht ein Klassenzimmer inmitten einer Grundschule. Darin Annamateur als Lehrkraft, die nicht nur auf die 40, sondern auf die Schüler zugeht. Mit albernen, absurden, anarchischen Aufgaben, wie einem „Malen nach Zahlen“, bei dem der eine Striche, der andere Abstriche machen muss. Oder mit verrückten Lückentexten, die einem vor den Augen verschwimmen. Und nicht zuletzt mit rechtschreibgeschwächten Liebesbriefen.

Eine buchstäbliche Lady Gaga, die ihre Leidenschaft in Tupperdosen aufbewahrt, und zu Hause beim „Sitzen, Schwitzen und Schnitzel panieren" die graue, ja grauenhafte Wohnungseinrichtung bewundert. Doch plötzlich bricht es aus Annamateur heraus. Eine Rebellin, die nicht bellt, dafür aber krächzt, kreischt und quietscht. Die Gesichtszüge sind dabei nicht die einzigen, die entgleisen. Dann rammsteint sie über tote Ratten, sehnt sich gelangweilt nach ihrem Stalker zurück und lässt auf der Overhead-Folie mit Hilfe eines Filzstiftes und einiger Piktogramme aus harmlosen Landschaftsbildern grauenhafte Massaker entstehen — wozu sie wie zufällig russisch kauderwelscht und regelrechte Schlacht-Gesänge anstimmt.

Aus-dem-Rahmen-Fallen

Annamateur liebt die Ent-Grenzung, das Aus-dem-Rahmen-Fallen, die Freiheit. Deshalb gehören ihre Sympathien verhaltensauffälligen Kindern, Menschen, die in Buchstabensuppe baden und Frauen, denen die Schmetterlinge im Bauch nicht gefrieren — Außenseitern eben. „Du bist schwierig, alle sagen das“, heißt ihre Hymne auf das Anderssein.

Stimmlich weiß Annamateur mit tiefem Bass ebenso zu glänzen, wie mit sanften Balladen, mit travoltierendem Disco-Sound, wie mit Wortfetzen, die an Jazzpatterns erinnern. In ihren Geschichten verschwimmen Realität und Traum. In einer wilden Mischung aus den Montagsmalern, einer Marktschreierin und Minimal Music begeistert Annamateur — eine Mixtur aus Animateur und Amateur — das anfangs verwunderte Publikum. Ihrer Aufforderung an die überforderten Schüler „Schreibe eine Phantasie-Geschichte“ kommt sie mit einer Forchheim-Hymne nach, in der sie den Rathaussaal in ein Notenblatt transformiert. In den Kreuzen über den Türen sieht sie gute Vorzeichen, aus den leeren Plätzen der ersten Reihe werden Viertelnoten, aus den hohen Lachern einer Zuhörerin wird eine Koloratur-Phrase . . . Die beiden „Außensaiter“ Christoph Schenker und Samuel Halscheidt improvisieren daraus eine wahnsinnige Nummer, in der die Forchheimer Forelle zuerst gegen den Strom einer Bachschen Cello-Suite ankämpft, dann sich unter zeitgenössischem Rock versteckt, zuletzt aber doch in die Fänge des „hier ansässigen R“ gerät. „Schade, dass man diese Momente nicht wiederholen kann.“

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