Ästhetik des Alltags

22.1.2015, 17:33 Uhr
Ästhetik des Alltags

© Foto: Udo Güldner

FORCHHEIM — In der einen Hand den Reiseführer, in der anderen Regenschirm, Handtasche und Kamera. Eigentlich wollte Sonja Leistner auf dem Cimetière de Montmartre einige Gräber berühmter Franzosen wie Hector Berlioz, Alexandre Dumas oder Francois Truffaut besuchen. „Doch die in großen Mengen über den Friedhof tigernden Wildkatzen haben mich viel mehr fasziniert als irgendwelche Grabsteine oder Mausoleen.“

Es sind Alltagsszenen, die Sonja Leistner bei ihren stundenlangen Spaziergängen eingefangen hat. „Ich wollte mit den Menschen ins Gespräch kommen, um möglichst viel vom Leben mitzubekommen.“ Eine gewisse Gelassenheit, die den Betrachter in den Gassen des Marais, eines Stadtviertels am nördlichen Seine-Ufer überfällt.

Spannender als Postkarten

Oben auf der Straßenlaterne turteln die Täubchen, unten am Brunnen umarmen sich zwei Turteltäubchen. Es sind solche Momente, die Sonja Leistner schwärmen lassen. „Spannender als die bekannten Postkartenmotive sind doch die kleinen Details.“

Der Eiffelturm, die Basilika Sacré-Coeur de Montmartre, das Centre Pompidou. Auf Schritt und Tritt stolpert man in der französischen Metropole über Sehenswürdigkeiten.

Sonja Leistner aber sucht eine eigene Perspektive, begeistert sich für ein Baugerüst am Eiffelturm (La tour dans la tour), bildet den Kontrast zwischen futuristischer und „potthässlicher“ Architektur ab, wenn sie grautönige Fassaden der 70er Jahre und den imposanten Jugendstil der Galerie Lafayette abbildet.

Vom Dach des Einkaufsparadieses vom Ende des 19. Jahrhunderts beobachtet Sonja Leistner das bunte Treiben auf Straßen und Plätzen. Und in Parks, die sie als „wenig inspirierend“ empfindet. Die Avenue des Champs-Èlysées ist „schon lange kein elysisches Gefilde mehr, sondern laut, dreckig und hässlich. Ein Park mit achtspuriger Straße.“

Keine guten Gärtner

Was Sonja Leistner zur provokativen Aussage bringt, die besten Gärtner seien schon lange nicht mehr in Paris zu finden, so „pflichtbewusst, aber herzlos“ seien die Hecken und Blumenrabatten zurechtgemacht. Komitee-Vorsitzender Reinhard Heydenreich sieht Sonja Leistner als „unheilbar kunstinfiziert“, sie male, seitdem sie laufen könne.

Von den Ölgemälden, die sie während ihres Medizinstudiums gemalt hatte, hat sie sich technisch und gedanklich bereits weit entfernt. Einige Foto-Motive sind schwarz-weiß, andere farbig. „Das kommt darauf an, ob ein Motiv zeitlos ist, dann wirkt es farblos stärker, oder bei Gegenlichtaufnahmen. Das Varieté Moulin Rouge braucht als rote Mühle aber unbedingt Farbe.“

Wenn es um den flair ancien geht, um historische Bauten, um Victor Hugos Haus, um das Foucaultsche Pendel, um das Musée d´Orsay, dann reduziert Sonja Leistner, um der Phantasie mehr Raum zu geben.

Vielleicht liegt es an ihrem Beruf als Fachärztin für Augenheilkunde mit Praxis in Bamberg, dass der Blick, die Perspektive, die Farben eine so wichtige Rolle spielen. In Franken, genauer in Haßfurt lebt die von der Insel Usedom stammende Künstlerin seit 2000, seit acht Jahren hat sie ihre Praxis in Bamberg.

Es sind charmante Einblicke in eine die französische Hauptstadt und ihre sympathischen Einwohner, in das Flair einer Metropole, die von Straßenkünstlern und Liebespaaren bevölkert zu sein scheint. „Am Ende taten mir die Füße, die Hüften und der Rücken weh.“ Für den Betrachter haben sich die Mühen allerdings gelohnt.

Die Ausstellung kann bis Freitag, 30. Januar, im Foyer des Landratsamtes während der üblichen Öffnungszeiten besucht werden. Sonja Leistner hat ihre eigene Galerie „Kleinod“ in der Unteren Sandstraße 37 in Bamberg.

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