Ein arbeitsreicher Traum beflügelt Jungbauer Lukas

28.12.2017, 08:00 Uhr
Ein arbeitsreicher Traum beflügelt Jungbauer Lukas

© Foto: Schroll

Es ist Punkt fünf der Tagesordnung. Drucksache 17/0791. Thema: Sanierung der Kreisstraße zwischen Wannbach und Urspring. Keine große Diskussion bei den Kreisräten im Bau- und Verkehrsausschuss des Kreistages der sich an jenem heißen Sommertag im Juli nachmittags in Ebermannstadt trifft. Die Sitzung ist eher zu Ende als gedacht und Wannbach liegt auf dem Nachhauseweg.

Die Redaktionskamera liegt geduldig auf dem Beifahrersitz. Dass ich mit ihr mehr einfangen werde, als nur den sanierungsbedürftigen Straßenabschnitt ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

In Wannbach ist der Abend eingekehrt. Davon zeugt das Konzert der Grillen und der Staub, den der Traktor auf offenem Feld aufwirbelt, als er über die Hügel aus getrocknetem Gras fährt. Verschluckt von einer Presse, purzeln einzelne Halme in Heuballen verwandelt heraus. Mannshohe Gebilde bleiben liegen, zieren die Kulisse aus Fachwerkhäusern.

Ich laufe auf das Feld, halte eine alltägliche aber zugleich idyllische Arbeit in Bewegtbildern fest. Der Landwirt erklärt mir seine Arbeit.

Wannbachs größter Tiergarten

Zwischen den Bäumen der angrenzenden Häuser bahnt sich ein Junge den Weg aufs Feld. Mit fest zugeschnürten Schuhen, kurzer Hose, Hut und einem Grashalm zwischen den Zähnen, wandern seine Finger über die Ballen.

"Ich zähle sie einfach aus Spaß", sagt der Junge, der sich als Lukas vorstellt. "Dort hinten", deutet er in die Richtung, aus der er kam, "ist Wannbachs größter Tiergarten", sagt er. "Das ist meiner", schiebt er mit einem verschmitzten Lächeln hinterher.

Die Welt, in die ich eintauche, erklärt mir der 13-Jährige redegewandt, er zeigt mir Hasen und Hühner, Karotten und Kartoffeln. Um seine Dutzende Tiere kümmert er sich nach Schulschluss, ihr Futter baut er auf eigenen Ackerflächen an. Auch Schafe hatte Lukas schon, Schweine sollen noch hinzukommen. Sein Traum ist, Bauern zu werden.

Infiziert von der durchaus anstrengenden Arbeit ist er schon als Zweijähriger, erklärt mir später Mama Hildegund. Lukas stand in übergroßen Gummistiefeln an der Haustüre und wollte zu seinen "Mähs".

Zwei Stunden unterhalten wir uns bei der Tour durch den Tiergarten. Nicht nur die Türen zu den Gehegen öffnete die Familie mir, einem zunächst wildfremden, neugierigen Menschen von der Zeitung, an dessen Hals die Kamera baumelt und sagt: Diese Einblicke möchte ich festhalten, durch meine Linse die Leser mitschauen lassen.

Ein Blick ins Herz

Lukas und seine Mama lassen mich nicht nur in ihre vertraute Umgebung, sondern auch in ihr Schicksal und damit Herz blicken. Dort hat ein Tag vor knapp sechs Jahren seine Spuren hinterlassen, als Lukas’ Vater einen Schlaganfall erlitt. Seitdem ist er an einen Rollstuhl gefesselt. Nur Videoaufnahmen sind es, die den Familienvater so zeigen, wie es Lukas nur noch aus seiner frühen Erinnerung kennt: unbeschwert und arbeitstüchtig. Und dennoch: Lukas und Hildegund lachen, scheinen sich eher an der vielen und mitunter schweren Arbeit zu erfreuen, als sich wegen ihr zu grämen. Sie sind glücklich. Lukas ist glücklich, weil er seinen Traum, Bauer zu werden, ausleben kann. Mit seinem Eifer hält er den Hof am Leben. Seine fleißigen Hände sind eine willkommene Stütze im Alltag für Mama Hildegund. Die Sonne verneigt sich bereits zur Verabschiedung an jenem Sommertag, als ich den Tiergarten verlasse. In einer angrenzenden Gastwirtschaft lasse ich das erlebte Revue passieren, spreche meine Eindrücke und Erlebnisse auf das Handy, um sie festzuhalten. Zum ersten Mal in meinen Beruf war ich stift- und papierlos unterwegs als ich unverhofft in das Leben von Lukas und Hildegund stolperte.

Zu Hause ziehe ich mich in der Dämmerung des Sommerabends zurück auf den Liegestuhl. In Gedanken bin ich in Wannbach, bei einem ehrgeizigen, vom Schicksal gekennzeichneten aber selbstbewussten Jungen und einer starken Mutter.

Ortswechsel: In der morgendlichen Konferenz erzähle ich meinen Kollegen über die Sitzung des Ausschusses. Nach den Details über die Brandschutzsanierung des Ämtergebäudes des Landkreises in Ebermannstadt folgt ein Auszug aus dem Leben der Familie Ziegler und die Entscheidung, diese Geschichte mit den Lesern zu teilen. Meine Begegnung mit Lukas und seiner Mutter münden in einer Sonderseite. Wir taufen sie auf den Namen "Jungbauer Lukas packt an."

Die Reaktionen überraschen mich und die Familie. Lukas erhält Besuch, wieder einmal von wildfremden Menschen, die ihm seine Bewunderung ausdrücken. Leser teilen mir mit, wie nahe ihnen die Geschichte ging, erzählen von Tränen in den Augen.

Mit Küken in den Händen

Wochen später: Ich sitze in der Redaktion, eine Nachricht poppt auf meinem Handy auf. Lukas hat mir geschrieben. "Die Enten sind jetzt da." Mit einem Fotografen besuche ich die Familie erneut, halte Küken in den Händen und darf mich beim Entenfüttern ausprobieren. Das alles im redaktionellen Auftrag — mit Futter in der Hand locke ich die ohnehin zahmen Tiere vor die Linse — für meine Nürnberger Kollegen des digitalen Magazins SamSon. Eine Woche später können Leser Lukas hören und sehen.

Es ist mittlerweile Herbst geworden. Lukas schickt mir ein Bild zu. Mit seinem Grundschul-Kumpel Hannes hat er einen Wagen hervorgezaubert, den sie in einen Verkaufsstand für "Zierkürbisse und frische Eier" umfunktioniert haben. Nächstes Jahr, sagt Mama Hildegund, will
sich Lukas zwei Schweine holen. Ob er das gebacken kriegt? Ganz bestimmt!

 

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