Für einen Kaffee und einen Titel nach Bern

26.10.2014, 21:29 Uhr
Für einen Kaffee und einen Titel nach Bern

© Fotos: NN-Archiv

„Kopfball. Abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt! Tooor! Tooor! Tooor!“ Der Radiokommentar von Herbert Zimmermann vom Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft ist vielen im Gedächtnis. Nicht nur Fußballfans. Das „Wunder von Bern“ neun Jahre nach Kriegsende war ein Meilenstein, einigen gilt es heute als eigentliche Geburtsstunde der Bundesrepublik, als einendes Erlebnis.

60 000 Zuschauer sahen damals im Berner Wankdorf-Stadion, wie die westdeutsche Mannschaft gegen die „Goldene Elf“ Ungarn gewann, die damals vielleicht beste Fußballmannschaft des Planeten. In ganz Deutschland saßen die Menschen vor den wenigen Fernsehern und den Radios. Johann Brunner aber hat das Spiel mit eigenen Augen gesehen. Der 82-Jährige war, wie er selbst sagt, schon vor 60 Jahren ein „narrischer Hund“, was den Fußball anging.

Für einen Kaffee und einen Titel nach Bern

© Roland Huber

In Baiersdorf spielte er in der A-Klasse und als die Nationalmannschaft das Finale gegen Ungarn erreicht hatte lieh sich der Vorarbeiter einer Blitzableiter-Firma von seinem Chef ein Auto. „Es war ein Ford, ein Sechssitzer“, erzählt Brunner. Mit vier Kollegen und seiner Frau machte er sich auf in die Schweiz. Ohne Karten. „Die haben wir erst unterwegs an der Straße gekauft. Je näher wir ans Stadion kamen, desto teurer wurden sie.“ So um die 20, 30 Mark, viel Geld, haben sie dann bezahlt. Und keinen Pfennig bereut.

„Da war ein Riesen-Auflauf am Stadion“, sagt Brunner. „Ein richtiges Volksfest mit Buden und Karussells.“ Mit seinen Kollegen ging’s auf die Tribüne, Brunners Frau, mit der der 22-Jährige seit vier Jahren verheiratet war, blieb im Auto sitzen und machte ein Nickerchen. „Sie hat sich nicht für Fußball interessiert. Aber sie wollte nicht so lange alleine zu Hause bleiben.“

Brunner sah, was viele erwartet hatten: Die favorisierten Ungarn, die Deutschlands B-Mannschaft in der Vorrunde 8:3 abgeschossen hatten, gingen gegen die A-Elf schnell 2:0 in Führung. Die konnten Club-Legende Max Morlock und Helmut Rahn aber kurz danach ausgleichen. „Es ist klar, im Fußball muss man Glück haben“, sagt Brunner. „Ungarn war schon sehr stark. Aber ich wusste, dass Deutschland gewinnt.“

„Mussten in die Arbeit“

Nach Rahns Siegtreffer („Das war schon eine gefährliche Chance“) kochte das Stadion. „Die Stimmung war sehr gut, wir haben gesungen und alles.“ Nach dem Spiel holte der Alltag die frisch gebackenen Weltmeister-Fans aber schnell ein. „Wir haben nicht groß gefeiert, sondern nur einen Kaffee getrunken und sind dann wieder gefahren. Wir mussten ja wieder zurück in die Arbeit.“

Dort war Brunner der Neid der nicht mitgefahrenen Kollegen gewiss. Auch später, auch heute noch, muss er immer wieder von seiner Reise nach Bern erzählen. „Erst vor kurzem haben mich mein Schwiegersohn und mein Enkel danach gefragt.“ Und natürlich hat den späteren SchulHausmeister in Baiersdorf der Fußball nicht mehr losgelassen, auch wenn er sich von der heutigen Ausprägung mit Millionen-Gehältern und Gewalt von Chaoten distanziert. „Das tut mir weh“, sagt er dazu.

Einige Länderspiele hat er noch besucht, sich freilich auch über die drei nächsten Weltmeister-Titel gefreut. Aber am besten gefällt Brunner der Fußball im Amateurbereich. Hier sei alles noch ein bisschen wie früher. Wie damals, beim „Wunder von Bern“.

Keine Kommentare