Geprüft und gestählt durch Hitzekammer und Windkanal

11.7.2014, 10:00 Uhr
Geprüft und gestählt durch Hitzekammer und Windkanal

© Ralf Rödel

Diese Maschine hat Zerstörungspotenzial. Gebaut ist die aus zwei Walzen bestehende Schusskanone, um einen Fußball mit einer Geschwindigkeit zwischen 50 und 100 Kilometern pro Stunde gegen eine Stahlplatte zu schmettern. 2500 bis 3000 Mal hintereinander muss das Sportgerät die Prozedur über sich ergehen lassen, ehe es wieder zur Ruhe kommt. Für WM-Held Brazuca, der derzeit in Brasilien so oft wie noch nie im Tornetz zappelt, ist das aber nur die sanfte Version: auf eine Stahlplatte mit Stollen wird er auch noch gedonnert. „Wir prüfen das Material auf Herz und Nieren, um alle erforderlichen Kriterien gewährleisten zu können“, erklärt Erhan Polat.

Strenger Kriterienkatalog

Als Leiter der Abteilung Qualitätssicherung bei adidas ist der Forchheimer mit den  Anforderungen des Fußballweltverbandes Fifa vertraut. Neben dem festgelegten Gewicht zwischen 420 und 445 Gramm und einem Umfang von 69 Zentimetern darf Brazuca in der Belastung nur eine bestimmte Menge an Druck verlieren. „Wichtigster Grundlagentest ist der Rücksprung. Der Ball muss nach einem Aufprall aus zwei Metern wieder in eine bestimmte Höhe zurückspringen“, sagt Polat. Auch nach 2500 Zusammenstößen mit der Stahlplatte. Als WM-Exklusiv-Partner haben sich die Herzogenauracher sogar noch strengere Normen gesetzt.
Bevor Brazuca in die Massenproduktion und später millionenfach über die Ladentheke ging, waren beinahe drei Jahre Entwicklungszeit nötig. Allein ein Jahr lang beschäftigten sich Ingenieure, Physiker und Chemiker nur mit theoretischen Fragen und Problemstellungen. Teams in zehn Ländern waren an der Arbeit beteiligt, am Ende hunderte Mitarbeiter und über 600 Profikicker als Testpersonen im Feld im Einsatz.

„Der Fußball hat sich in den vergangenen Jahren verändert, ist dynamischer, athletischer und präziser geworden. Diesen Anforderungen müssen wir uns als Hersteller auch anpassen, unsere Prozesse verbessern“, weiß der ehemalige Amateurfußballer Polat. So sei das neue Design des Spielballes weniger nach ästhetischen Gesichtspunkten oder Gründen eines effizienteren Fertigungsprozesses entworfen worden, denn nach dem praktischen Nutzen.
Am Anfang der Evolution stand 1970 mit dem markanten Telstar ein rein aus Leder gefertigter Ball, der aus 32 schwarzen und weißen fünf- beziehungsweise Sechsecken zusammengenäht war. Das Modell 2014 hingegen besteht an der Außenhaut nur noch aus sechs miteinander verklebten, sogenannten Panels. Unzählige Kunststoffmaterialien wurden in der Entwicklungsphase auf ihre Eigenschaften getestet. Wie bei einem Formel-1-Auto werden im Windkanal Aerodynamik und Flugverhalten bei Strömung untersucht. „Bei Schüssen mit mittlerweile über 100 Kilometern pro Stunde wirken sich Nuancen in der Oberflächenstruktur aus. Beim oft als Flatterball geschmähten WM-Ball von Südafrika spielte das Thema in den Medien eine große Rolle“, erklärt Erhan Polat. Die feinen Noppen auf der Außenhaut sollen ein weiterer Schritt im Annäherungsprozess an den perfekten Ball sein.

WM in Alaska kann kommen

Als die ersten Prototypen fertig waren, durften Polat und seine Mitarbeiter ihr Produkt „auch mal beim lockeren Vier-gegen-Vier“ selbst in der Praxis ausprobieren: „Ich bin stolz, ein Glied in der Herstellungskette für das wichtigste Teil des wichtigsten Fußballturniers der Welt zu sein und auch mal vor den großen Stars gegen den neuen Ball zu treten zu dürfen.“ Schnell kehrt der Forchheimer aber wieder zur Ernsthaftigkeit eines Wissenschaftlers zurück, der den Eindruck vermeiden will, dass Kinder sein Labor als Abenteuerspielplatz begreifen.
Aus Sicht von Brazuca muten dort manche Geräte wiederum wie Folterwerkzeuge an. Maximal zehn Prozent des eigenen Gewichts darf er an Flüssigkeit aufnehmen, dank einer neuen Technologie kommt adidas auf unter 0,5 Prozent. Der WM-Ball übersteht hundertfache Waterboarding-Tauchgänge ebenso schadlos wie einen vierstündigen Aufenthalt in einer speziellen Waschmaschine, deren Innenwände in Anlehnung an einen Kunstrasenboden aufgeraut sind. Sintflutartige Regenfälle im brasilianischen Dschungel sind da kein Problem mehr.
Aufschlussreich waren die Tests auch schon im Hinblick auf die nächste WM unter extremen Wetterbedingungen in Katar. Eine Woche steckte Polats Team ihren Schützling zum Schwitzen in eine Hitzekammer bei 60 Grad. Aber auch für 16 Stunden bei Minus fünf Grad in einen Gefrierschrank. Für ein Turnier in Alaska ist man schon gewappnet.

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