Hinter der Farbschicht lauert der Schalk

22.10.2011, 10:00 Uhr
Hinter der Farbschicht lauert der Schalk

© Maisch

Jeden Tag nach der Schule läuft Harald Winter durch seinen Garten in Weilersbach zum Atelier. Vor ein paar Stunden noch hat er am Emil-von-Behring-Gymnasium in Spardorf Schüler in Kunst unterrichtet, jetzt lehnt er an seinem Archivschrank und schaut auf die unfertige Leinwand — ein großformatiges Stillleben. Findet er den Anschluss wieder? Baut sich die Spannung auf, die der 58-Jährige für sein Kunstschaffen so dringend braucht, wie die Luft zum atmen? „Ich muss mich wieder reinleben in das Bild. Wenn das nicht klappt, gehe ich hoch an meinen Schreibtisch und arbeite dort weiter.“ Einen Stock höher genießt Winter den Rundumblick. Auf dem Tisch liegen die Buntstifte bereit.

Das Wesentliche in der Kunst, sagt Winter, sei nicht der Inhalt, sondern die Form. Man könne einen Busch oder den Krieg malen, aber erst wenn man die adäquate Form dafür gefunden habe, sei es gute Kunst. „Das ist wie in der Literatur, es gibt verschiedene Liebesromane. Die Kitschversionen kann man am Kiosk kaufen, Shakespeares „Romeo und Julia“ dagegen ist echte Kunst.“

Höhepunkt Genf

Sein Talent für gefühlvolle Porträts einfacher Menschen und auch sein treffsicherer Witz, den er mit dem Zeichenstift aufs Büttenpapier bringt, haben Winter Anerkennung auch im Ausland gebracht. In New York und London hat er bereits ausgestellt und 2010 auch in Genf. Die Schau im Gebäude der Vereinten Nationen gehört zu den Höhepunkten seiner Karriere. 90 Arbeiten hingen dort, wo schon Kunst-Stars wie Damien Hirst oder Robert Rauschenberg ausgestellt haben. Winter zeigte Menschen aus dem kleinen süditalienischen Ort Castellabate, in dem er vor 14 Jahren ein Häuschen gekauft hat — es ist sein Zweitwohnsitz.

Ohne Skizzenbuch geht Harald Winter nicht aus dem Haus. Darin hält er mit raschem Strich Szenen fest, ganze Personen oder nur Details, die er zum Teil später für seine Bilder verwendet.

Wer Harald Winter nicht durch die Malerei und Zeichnungen kennt, der verbindet seinen Namen mit dreidimensionalen Kunstwerken: zum Beispiel den Zeitbrunnen am Forchheimer zentralen Omnibusbahnhof.

Während er früher vor allem das Große im Kleinen suchte, „in einem Stück zerknüllten Papier kann ein ganzer Gebirgszug verborgen sein“, richtet sich heute sein Blick mehr auf das große Ganze. In „topsy turvy“ (Drunter und Drüber), der Ausstellung, die er 2009 in London präsentierte, und die er nun in Auszügen auch in Forchheim zeigt (siehe Kulturteil), lagern mehrere Figuren und Formen übereinander, Texte kommen dazu. Die Bilder werden mehrschichtig, nicht nur im malerischen Sinn. Oft blitzt auch der Schalk durch.

Winter hat keine Scheu vor dem Neuen. Mal nutzt er Blattgold, mal verwendet er Wein, Semmelbrösel oder Kaffee für seine Collagen. Nur in einem ist er sich seit Beginn seiner Karriere treu geblieben: „Ich habe schon immer gegenständlich gemalt.“

Das Entscheidende ist die Wahrnehmung, sagt Winter. Auch seinen Schülern versucht er zu vermitteln, sich für einen unverbrauchten Blick auf die Dinge Zeit zu nehmen. Der Lehrerberuf sorgt nicht nur finanziell für Sicherheit, er sorgt auch dafür, „dass ich durch die Jugendlichen mit der Jetztzeit verbunden bleibe“. Er selbst wusste schon früh, dass er sein Leben mit der Kunst verbringen wollte. Sieben, acht Jahre alt war Harald Winter, als seine Eltern nach Forchheim zogen. Der Vater war als Betriebsleiter der Künstlerfarbenfabrik C. Kreul in Hallerndorf tätig. Mit den Eltern fuhr Winter jährlich nach München ins Haus der Kunst zur großen Kunstausstellung. Pablo Picasso beeindruckte ihn nachhaltig. „Die Kraft und Vitalität, die seine späten Bilder ausstrahlen, finde ich bemerkenswert. Und dass er sich immer wieder neu erfunden hat.“

Winters Begeisterung für die Kunst hat auch seine Kinder angesteckt. Die ältere Tochter, Katharina, ist selbstständige Kommunikationsdesignerin in Berlin, Tochter Eva hat wie er an der Akademie für Bildende Künste in Nürnberg studiert und sich nun für den Masterstudiengang in Kunstgeschichte in Erlangen eingeschrieben.

Wenn Harald Winter in seinem Atelier sitzt, die Stunden vergehen und der Stift streift unablässig über das Papier, dann holt ihn Ehefrau Barbara in die Wirklichkeit zurück. „Sie ist für die Bodenhaftung zuständig“, sagt Winter — und gegebenenfalls auch fürs Abendessen.

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