Jaksche sieht weiter Betrugsklima im Radsport

3.7.2016, 18:09 Uhr
Jaksche sieht weiter Betrugsklima im Radsport

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Herr Jaksche, die Tour beginnt wieder. Interessiert Sie das noch?

Jörg Jaksche: Nach Namen früherer Bekannter im Feld brauche ich nicht suchen. Bis auf ganz wenige Fahrer ist meine Generation mittlerweile herausgewachsen. Ich sehe mir einzelne Etappen nicht aus sportlichem Interesse an, sondern erinnere mich ein wenig nostalgisch an Orte oder Kurven. Dabei bleibt aber immer eine gewisse Distanz. Bei allem, was ich mit meinen eigenen Fähigkeiten erreicht habe, war ich mir im Gegensatz zu anderen Kollegen immer im Klaren, dass ich bei einem Betrug mitmache.

Beschlagnahmte Blutkonserven wurden 2006 mit zahlreichen Stars in Verbindung gebracht, Favoriten wie Jan Ullrich und Ivan Basso verpassten die Tour. Ihre damalige Mannschaft Liberty Seguros mit dem jungen Alberto Contador stand im Zentrum der Ermittlungen gegen Doktor Fuentes. Mit welchen Gefühlen denken Sie an diese Tage zurück?

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Jörg Jaksche: Die Anspannung war natürlich ungeheuer hoch, man hat Medienkontakte gemieden. Nach der Verhaftung von Fuentes und unseres Teamchefs war absehbar, dass wir aus der Nummer wohl nicht rauskommen werden. Es war ja auch Blut von mir, das da in Beuteln (Hundenamen wurden als Pseudonyme verwendet, bei Jaksche „Bella“; Anm. d.Red.) rumgehangen hatte und gefunden wurde. Das Karriereende als drohende Konsequenz meiner Rolle in diesem System war mir plötzlich akut. Ich bekam Zukunftsängste.

Die Karriere ruinierte letztlich das Geständnis, das Ihnen den Ruf des Nestbeschmutzers einbrachte. Im Nachhinein ein Fehler?

Jörg Jaksche: Wenn ich nichts mit den Dingen zu tun gehabt hätte, wäre ich gar nicht in die Lage geraten, ein Geständnis ablegen zu müssen und zum Sündenbock abgestempelt zu werden. Ausschlaggebend für meine Entscheidung war der kollektive Druck, der mich angewidert hat. Ich wollte mich von den Organisatoren der ganzen Szene nicht heraustreiben lassen, sondern wenn dann selber einen Schlussstrich ziehen. Unser Teamchef Manolo Saiz hat uns noch vor der Razzia eidesstattliche Erklärungen unterzeichnen lassen – im Wissen um unseren gemeinsamen Betrug, um die Fahrergehälter einzubehalten als wir aufgeflogen waren. Bjarne Riis wollte mir das Schweigen schmackhaft machen, in dem er mir nach einer Sperre einen Platz in einem kleineren Team versprach.

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Bjarne Riis hat gestanden, als Aktiver gedopt zu haben. Danach wurden diverse seiner Schützlinge wie Basso und später Fränk Schleck erwischt. Aktuell bastelt Riis an seiner Rückkehr ins Geschäft als Manager eines neuen Teams. Ist der Radsport wirklich sauberer geworden?

Jörg Jaksche: Skandalfrei statt Dopingfrei ist das richtige Stichwort. Die nationalen Verbände sind ja kaum an Aufklärung interessiert. Grundsätzlich sind immer noch viele der Hintermänner von damals in und um die Teams auch unserer deutschen Hoffnungsträger unterwegs. So lange die Funktionäre, Betreuer und Ärzte juristisch nicht belangt werden, weil sie selbst nicht gedopt haben, wird sich am heuchlerischen Status Quo nichts ändern. Die verbesserten Kontrollen, der öffentliche Druck über die Medien und der Sponsoren mildern die schlimmsten Auswüchse nur ab. Würden alle Mittel freigegeben, hätten wir Zustände wie in den 60ern – inklusive Todesopfern.

Sie selbst sprachen vom Bewusstsein, betrogen zu haben. Warum macht ein 21 Jahre alter Abiturient aus gutbürgerlichen Verhältnissen bei dem Spiel trotzdem mit?

Jörg Jaksche: Die Erklärung ‚weil es jeder macht’ ist aus der Ferne betrachtet trivial. Und als junger Mensch schmuggelst du sicher auch nicht gerne Spritzen. Nur kannte ich trotz Abitur seit frühester Jugend nur das Radfahren. Der Erfolg, die Bestätigung, ein bisschen dank der Reisen auch die Flucht aus dem Leben im ländlichen Raum; das alles macht dich schon abhängig, bevor du als Profi deinen Lebensunterhalt darauf aufbaust. Das ist das seltsame an der Radsport-Ethik. Der große Betrug wurde nie so genau genommen, dafür sind Abkürzen oder jemanden Anrempeln im Feld streng verpönt. Diese Doppelmoral sehe ich aber auch in anderen Sportarten.

Zum Beispiel?

Jörg Jaksche: Im Fußball tragen sie den Fairnessgedanken ständig vor der Brust. Dabei suchen so viele ab der Strafraumkante die Chance, sich fallen zu lassen. Eine Schwalbe ist hier auch ein oft akzeptierter Betrug.

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