Krebskranker Forchheimer Mirco gibt nicht auf

16.7.2016, 17:00 Uhr
Krebskranker Forchheimer Mirco gibt nicht auf

© Foto: Anestis Aslanidis

Es ist ein Augenblick, der an die Nieren geht. Der Augenblick, als im September vergangenen Jahres der an Lymphknotenkrebs erkrankte Mirco Reck im Pavillon von Schloss Thurn gemeinsam mit der Deutschen Knochenmarkspenderdatei seine Aktion „Mirco will leben“ vorstellt. Eine Stammzellenspende ist Mircos einzige Überlebenschance. Vier Wochen später, im Oktober 2015, lassen sich bei einer bislang nie dagewesenen Typisierungsaktion in der Hirtenbachhalle fast 3000 Menschen typisieren. Dann folgt für Mirco und seine Familie eine zermürbende Zeit des Wartens, ein potenzieller Spender aus der Heroldsbacher Aktion wird für Mirco nicht gefunden, dafür aber, Anfang März, ein Spender aus Norddeutschland.

Konfirmation in der Klinik

Am Palmsonntag feiert Mirco mit anderen Patienten im Hörsaal der Erlanger Uniklinik seine Konfirmation, tags darauf wird er dort stationär aufgenommen. Es folgen zahllose Voruntersuchungen. „Der Körper wird ausgetestet“, sagt Mirco. Die Euphorie bei dem 14-jährigen Jugendlichen ist nahezu unermesslich, so lange hat er auf den lebensrettenden genetischen Zwilling gewartet.

In einem sterilen Zelt lebt Mirco dort, Stereoanlage, CDs, ein Fotoalbum vom Schlosspark Thurn, wo er so gerne mit den Rittern unterwegs ist, packt er für seinen Zeltaufenthalt ein. Sein Leben im Zelt muss absolut keimfrei sein, alles muss desinfiziert und vorab gewaschen werden. Wie sein Kuschelkissen, das ihm Halt gibt. „Kennst du das, wenn Aufgeben keine Option ist?“, steht darauf.

Was danach folgt, ist der blanke Horror. Eine ganze Woche lang wird mittels Chemotherapie Mircos Immunsystem ausgeschaltet, um den Körper auf die neuen Stammzellen des Spenders vorzubereiten. Mirco ringt Stunden lang nach Luft, hat Schüttelfrost, fühlt sich völlig kraftlos, hilflos und völlig ausgeschaltet. Dabei wird er rund um die Uhr medizinisch überwacht.

Am 30. März dann der Tag der Transplantation. Mirco ist nervös, aus Norddeutschland kommt die Knochenmarkspende mit dem Krankentransport in die Erlanger Klinik, bis es endlich soweit ist, wird Mirco den ganzen Tag gewartet haben.

1300 Milliliter zähflüssiges Blutplasma läuft 14 Stunden lang über einen Katheder in Mircos Körper, vor der Zimmertür stehen Defibrillator und Intubator, das gibt Mirco Sicherheit. Täglich wird anschließend Mircos Blut kontrolliert, ob die weißen Blutkörperchen anfangen sich zu vermehren. Endlich, am Tag elf nach der Transplantation, sind Zellen durch das fremde Knochenmark da.

Wieder hat Mirco mit Nebenwirkungen zu kämpfen, die Schleimhäute im Mund sind offen, Speiseröhre und Zunge sind so entzündet, dass er nicht mehr sprechen kann. Die Haare fallen ihm wieder aus, er hat hohen Blutdruck. Ernährt wird er über eine Magensonde.

Selbstständig trinken, das ist die Voraussetzung, dass Mirco nach Hause darf, 29 Tage nach der Transplantation ist es so weit. Drei Mal wöchentlich muss Mirco zur Blutkontrolle in die Klinik, zehn verschiedene Tabletten, insgesamt 21 am Tag, muss er essen. Genau 17 Tage ist Mirco zu Hause, dann rückt er wieder in die Klinik ein. Ein Keim ist in seinem Blut, er ist schwach, hat wenig Appetit.

Mirco hat körperlich abgebaut, er hat Gelenkschmerzen und, wie die Ärzte sagen, „erwartbare Nebenwirkungen“, das sind Pilze im Magen. In dieser Zeit fängt Mirco in seinem Krankenhauszelt an zu malen. Pinsel, Farbe und Leinwand hat er mit in sein Krankenhauszelt geholt, „wie in einer Galerie“, so sagen die Ärzte, sehe es bei dem 14-Jährigen aus.

Rund um die Uhr ist Mircos Mutter, Heike Reck, an der Seite ihres Sohnes. Auch dann, als sie sich bei einem Unfall Mitte Mai den Brustwirbel bricht. Zehn Tage lang dauert es, so erzählt eine Freundin, bis die Mühlen der Verwaltung mahlen, bis endlich eine Hilfe organisiert werden kann. Mircos Schwester springt ein, fährt die Mutter in die Klinik, um bei Mirco sein zu können. Kraft, so erzählt die 48-Jährige, holt sie sich aus Büchern, aus den Gesprächen mit Eltern in der Erlanger Onkologie.

Freunde sondern sich ab

Lernen muss Heike Reck auch, dass „dicke, gute Freunde sich absondern, weil sie dein Leben nicht mehr verstehen“. Denn ihr Leben ist seit Mircos Krankheit nicht mehr planbar, sie wird, so erzählt sie „für die Freunde nicht mehr zuverlässig“. Und doch sind seit dem Spendentag im Oktober so viele neue Kontakte entstanden, erzählt Mircos Mutter, wie etwa zu den Bekannten, die ganz spontan auf die Keller einladen. „Durch Schicksalsschläge werden wir durch unsere neuen Freunde mehr unterstützt als durch unsere langjährigen alten Freunde“, sagt Stefan Reck, der Vater von Mirco.

Über dem Berg ist Mirco noch lange nicht. Bis zu 360 Tage nach der Transplantation muss er regelmäßig zur Knochenmarkpunktion nach Erlangen.

Seit ein paar Wochen ist Mirco wieder daheim in Heroldsbach, erholt sich und malt. Ein lebensfrohes Bild für ein Kinderzimmer. Denn Mirco wird im Herbst Patenonkel. Für sein Patenkind will Mirco bis September fit sein, dann will er, wie ein ganz normaler Junge in die Schule gehen, mittags seinen Schulranzen daheim aufs Bett schmeißen und nachmittags den Kinderwagen durch den Park schieben. „Dann“, sagt er, „dann ist alles gut.“

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