Leben einer Kirche in einen Kalender gepackt

14.9.2016, 17:47 Uhr
Leben einer Kirche in einen Kalender gepackt

© Foto: Udo Güldner

„In der Zionskirche herrschte ein Höllenlärm. Bei einem Punk-Konzert trieben sich die Besucher mit Bierflaschen sogar auf der Kanzel herum.“ Über ein Jahr lang hat Harald Winter sich 2015 immer wieder rund um die Zionskirche bewegt, hat zuerst die unbewegliche Architektur, dann Mensch und Tier mit dem schwarzen Buntstift eingefangen. „Es dauert immer etwas, bis ich ein Gefühl für das Ambiente, für die Atmosphäre bekomme. Erst dann kann ich mich dem Lebendigen nähern.“

Winter hat das kühle Innere des Backsteinbaus und den lebhaften Volkspark am Weinbergsweg besucht, hat mit der verlangsamten Wahrnehmung des Zeichners sich den Menschen und ihren Charakteren angenähert. „Es bedarf des kalten Blickes, der die Realität sieht, ohne sie zu verklären oder zu verzerren.“ Als er dort war, gab es eine Modenschau vor dem Portal, einen Gottesdienst in Star- Wars-Kostümen und politische Aktionen für Flüchtlinge.

Auf dem belebten und beliebten Platz nahe der Kastanienallee tummelten sich vorbeihuschende Radfahrer und schlendernde Spaziergänger, Ratten in Abfallhaufen und allerlei Singvögel auf Futtersuche. Selbst die Kirchenmaus hat Winter in den Mikrokosmos in und um das Gotteshaus gefügt. Im Januar betritt der Betrachter die Zionskirche, wo ihn im Februar der Küster Marin Diminic alias „Marinko“ erwartet. In einem jahreszeitlichen Rundgang lernt man auch den „Penner Stefan“ kennen, für den Winter, sonst im süditalienischen Castellabate zu Hause, eine „birra sospesa“ übrig hat.

In den Alltagsszenen ist es winterlich grau, frühlingshaft grün, sommerlich hell und herbstlich bunt. Mit den flüchtigen, aber brillanten Aquarellfarben setzt der Künstler Schwerpunkte in der sonst schwarzweißen Komposition und lenkt das Auge des Betrachters. „Es ist ein wunderbar friedlicher Ort, an dem alle sozialen Schichten und viele Nationalitäten zusammenkommen.“

So laufen Harald Winter neben neureichen Touristen und Kieznachbarn auch polnische Bauarbeiter in das Blickfeld. „Sprechende Menschen sprechen mich als Künstler am meisten an. Denn der Mund, und nicht etwa die Augen, ändern ganz entscheidend den Gesichtsausdruck.“

Seine Motive sind fast nur im Profil oder von hinten zu sehen. Denn Winter hat heimlich mit dem Skizzenbuch unter dem Caféhaustisch gezeichnet. „Sobald die Leute aufstehen und weggehen, muss ich den Stift hinlegen, und die Zeichnung wird nicht fertig.“

Ein solches Schicksal hat hunderte Blätter ereilt. Seine beiden in Berlin lebenden Töchter Katharina und Eva haben Harald Winter bei der Umsetzung geholfen. Die eine als Grafik-Designerin, die andere als Künstlerin, die es, ebenso wie ihr Vater selbst, auch auf eines der zwölf Monatsblätter geschafft hat. Zusätzlich zum Kalender gibt es bis Ende des Jahres eine Ausstellung auf der Galerie.

Der Kalender ist zum Preis von 18 Euro in Forchheim bei der Buchhandlung Streit und bei der Bücherstube an der Martinskirche zu bekommen. Der Erlös hilft bei der Sanierung der Holzbänke der Zionskirche. Dort startet am 9. Oktober 2016 um 11.30 Uhr die Ausstellung „Innen Aussen“. Sie ist bis 31. Dezember 2016 täglich bis 22 Uhr in der offenen Kirche zu sehen.

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