Medical Valley: Eine Handy-Kamera bringt Zellen groß raus

17.7.2018, 06:00 Uhr
Medical Valley: Eine Handy-Kamera bringt Zellen groß raus

© Foto: Schneeberg

In Entwicklungsländern leben durchschnittlich drei Viertel der Menschen auf dem Land – und gehören damit in den meisten Fällen zu den ärmsten der Armen auf der Welt. Meist haben sie zum Leben nicht mehr als das, was sie auf ihrem eigenen Acker anbauen. Auch eine Gesundheitsversorgung ist in den Gebieten, die oft weit weg vom nächsten Krankenhaus liegen, naturgemäß schwierig.

Genau dort setzt die Idee von Lucas Sperb an. Der 24-Jährige kommt aus Porto Alegre im Süden von Brasilien und studierte an der Universität Feevale Biomedical Sciences (Biomedizinische Wissenschaften). Dort lernte er: "Viele Krankheiten können nur durch die mikroskopische Betrachtung von Blut-, Urin oder Stuhlproben diagnostiziert werden." Doch Labore, in denen das gemacht werden kann, sind meist in Städten. In den ländlichen Regionen kommt allenfalls mal eine Krankenschwester. Die kann zwar Blut abnehmen, aber die Probe nicht beurteilen. "Könnte man nicht Bilder, die das Mikroskop von der Probe zeigt, abfotografieren und per Handy an einen Mediziner zur Beurteilung schicken?" Diese Frage stellte sich Lucas Sperb — und entschied trotz jungen Alters und mitten im Studium: Das muss doch zu machen sein.

Im Oktober 2016 gründete er mit zwei Mitstreitern in seinem Heimatland das Start-up Wbio. Einer kümmerte sich als Ingenieur um die Software, einer um die Sicherheit der sehr persönlichen Daten, die über das Internet geschickt werden. Er selbst übernahm das Management der neuen Firma. Seitdem ist das Unternehmen bereits auf zwölf Mitarbeiter gewachsen — ein erster Teil des Geschäftsmodells ist umgesetzt und in Krankenhäusern und bei Ärzten im Einsatz.

"Für manche Diagnose reicht ein Schnelltest aus", erklärt der junge Wissenschaftler. Ein Streifen, der sich verfärbt, sobald er mit der Probe in Berührung kommt und so eine erste Aussage zur Erkrankung treffen kann. "Bei vermuteten Herzinfarkten wird so ein Schnelltest zum Beispiel verwendet, oder auch beim Test auf HIV", sagt Lucas Sperb.

Normalerweise müssten solche Tests in Krankenhäusern oder in Arztpraxen gemacht werden, damit ein Arzt das Ergebnis beurteilen kann. Das Team von Wbio hat hierfür eine App entwickelt: "Die Krankenschwester macht vor Ort den Test, fotografiert das Ergebnis auf dem Teststreifen und schickt dies über die App verschlüsselt zu einem Arzt, der dann gleich Bescheid gibt, was los ist."

Ähnlich unkompliziert soll es in Zukunft auch mit Teil zwei der Geschäftsidee laufen — und dafür will sich der Brasilianer das medizintechnische Knowhow in Forchheim holen. P1 heißt der Prototyp, der Mikroskop und Handy optisch verbindet, um "hochauflösende Aufnahmen auf Zellniveau" zum Beispiel von Blutproben zu liefern. "Die Maschine zu bauen, war etwas schwieriger, als ich anfangs erwartet habe", erzählt Lucas Sperb auf Englisch. Trotzdem ist er begeistert von seiner eigenen Erfindung: "Fotos von Zellen mit einer Kamera zu machen, die für Selfie-Aufnahmen entwickelt wurde, das ist großartig".

Doch nicht nur das soll das Gerät einmal können. Zusätzlich soll es mitdenken und den beteiligten Ärzten, die einen Blick auf die Zell-Aufnahmen werfen, die Analyse erleichtern — vor allem bei der Diagnose von Bakterienerkrankungen. "Ich habe 20 000 Fotos von Bakterien gesammelt, um das Gerät damit zu füttern", erklärt der 24-Jährige. Ziel sei es, dass P1 dem Mediziner oder Laboranten nur relevante Fotos zusendet. "Man braucht viele verschiedene Aufnahmen unterschiedlicher Bereiche der Probe, um den Verdacht auf eine Erkrankung zu bestätigen. Mit der Vorauswahl kann die Anzahl der Fotos reduziert werden", sagt er.

In Forchheim will Lucas Sperb an seinem Prototypen weiterarbeiten und sich gleichzeitig in Sachen Management fit machen. Kontakt zum Medical Valley Center knüpfte er über das hiesige Internationalisierungs-Programm Go Global, in dem von Forchheim aus gezielt Start-ups in den Ländern China, USA und auch Brasilien gefördert wurden. Eines davon war WBio, wie Centermanager Marco Wendel erläutert. Nach der Förderung vor Ort, können die Experten am Forchheimer Innovations-Zentrum dem jungen internationalen Unternehmen helfen, Investoren von ihrer Idee zu begeistern oder Spezialisten zu finden, die ihr Wissen in die Weiterentwicklung des Geräts oder der dazugehörigen App stecken.

Der junge Medizintechniker plant langfristig: "Ich würde die Firma gern von Forchheim aus managen", sagt er. Eine Wohnung in Nürnberg hat er schon gemietet, seine Ehefrau soll bald nachkommen.

Einsatzgebiet für "P1" sollen aber die Entwicklungsländer bleiben. "Ich arbeite von hier aus, meine Kollegen aber bleiben in Brasilien", erklärt der junge Wissenschaftler. Und nicht nur dort soll das medizintechnische Gerät eingesetzt werden. WBio setzt auf Wachstum. "Unser Plan ist, in möglichst vielen Entwicklungsländern auf den Markt zu kommen, denn die Probleme im Gesundheitssystem sind überall die selben."

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