Messerstecher vor Gericht: Streit in Asylunterkunft eskalierte

19.4.2016, 18:45 Uhr
Messerstecher vor Gericht: Streit in Asylunterkunft eskalierte

© Martin Regner

 Die Messerklinge war rund 15 Zentimeter tief in den Brustkorb von Jusuf W. eingedrungen, erklärte der Arzt, der W. noch in der Nacht durch eine Notoperation das Leben rettete. Dass der Stich quer durch zwei Lungenlappen lebensbedrohlich war, bestätigte anschließend ein als Gutachter befragter Rechtsmediziner:  Das Messer, das laut Gutachter mit Wucht geführt worden war und bis zum Heft im Körper von Jusuf W. steckte, verfehlte die Herzarterie nur um zwei Zentimeter. Ein zweiter Stich in den Rücken von Jusuf W. wurde vom Schulterbein gestoppt.

Der Messerattacke voraus gegangen war ein Streit kurz nach Mitternacht: Jusuf W., der aus Syrien nach Deutschland gekommen war, hatte mit Freunden in einem höheren Stockwerk der Asylunterkunft gefeiert.  Als nach der Feier ins Bett gehen wollte, sei allerdings die Tür zum Flur vor seinem Zimmer überraschend zu gewesen. Diese ließ sich ohne Schlüssel nur von innen öffnen und ein von W. vorsorglich als Keil in die Tür gelegtes Stück Holz war verschwunden. So klopfte W. an die Tür, die nach einer Weile von Bamir H. geöffnet wurde.

An dieser Stelle gingen die vor Gericht präsentierten Versionen der Geschehnisse auseinander: Bamir H. machte auf Anraten seines Anwalts keine Angaben. Jusuf W. meinte, er habe auf den aufgeregt schreienden H., der ihn mit der Hand am Hineingehen gehindert habe, beschwichtigend einreden wollen. Allerdings reichten die paar Brocken Deutsch, die beide Männer konnten, dafür offenbar nicht aus: Die Muttersprache von W. ist Arabisch, die von H. Albanisch. Plötzlich habe H. ihm einen Faustschlag verpasst, so W. weiter, und er habe sich gewehrt. Nach einem kurzen Handgemenge auf dem Flur vor der Etagenküche soll H. dann ein Küchenmesser gezogen und zugestochen haben.

Völlig andere Geschichte

Bamir Hs Ehefrau Sonja schilderte im Zeugenstand eine völlig andere Geschichte. So soll Jusuf W. einen Besenstiel aus Metall zerbrochen und Bamir H. damit bedroht haben,bevor H. das Messer aus einer Küchenschublade holte.

Wie es dann weiter ging, habe sie nicht mitbekommen, weil sich der Streit der beiden Männer vor die Flurtür ins Treppenhaus verlagert habe. Der Staatsanwalt hielt Sonja H. dann ihre erste Aussage bei der Polizei vor: Noch im Oktober hatte sie versichert, in ihrem Zimmer geblieben zu sein und überhaupt nichts gesehen zu haben: „Ich habe den Verdacht, dass Sie hier Märchen erzählen“, machte der Staatsanwalt der Ehefrau klar und drohte ihr eine Festnahme wegen Falschaussage an.

Der Richter bedauerte, dass zahlreiche mögliche Zeugen aus der Unterkunft, die Licht ins Dunkel hätten bringen können, nicht mehr greifbar seien: Denn diese seien inzwischen entweder abgeschoben oder unauffindbar in der ganzen Bundesrepublik verteilt worden.

Die Sprachbarrieren, die möglicherweise ursächlich für die Eskalation der Gewalt gewesen waren, traten auch im Prozess zu Tage: Zwei Simultandolmetscher für Arabisch und Albanisch mussten jedes Wort übersetzen. Der erste Verhandlungstag dauerte zu Redaktionsschluss noch an.