Offenes Podium: Noch internationaler kann es kaum werden

19.10.2015, 10:00 Uhr
Offenes Podium: Noch internationaler kann es kaum werden

© Udo Güldner

Seit wenigen Monaten lebt Mohamad Said Fallaha (18) in Forchheim und möchte bald seine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker beginnen. Der junge Mann ist vor dem mörderischen Assad-Regime aus Damaskus geflohen. Nun singt er für seine Schwester, die in Syrien ausharrt. „Sie wurde vor kurzem erst angeschossen“, erzählt er. In seinem arabischen Rap macht er sich „unendliche Gedanken“ und hat sich deshalb auch das Pseudonym „A-K“ gegeben. „Das ist die Abkürzung dafür.“ Seine wütend-traurige Tirade prangert den Krieg an, der nur noch Ruinen zurücklässt, solche aus Stein und menschliche. Ein bemerkenswertes Debüt eines jungen Künstlers.

Offenes Podium: Noch internationaler kann es kaum werden

Für Irina Dulson (57) ist die Musik nur ein Hobby. Obwohl die Pianistin aus der Nähe von Sotschi das Klavierspiel mit zwei Jahren begonnen, später studiert und über 20 Jahre an einer Musikschule unterrichtet hat. Vor 15 Jahren kam sie, der Liebe wegen, nach Forchheim. Doch die Erinnerung an die russische Heimat ist noch immer im Kopf und in den Händen präsent. Mit einem Liebeslied des in Russland berühmten Sängers Stas Mikhaylov, einem Lied ihres befreundeten Komponisten Igor Krutoy und dem Volkslied „Moskauer Nächte“ gab sie einen Einblick in ihr Seelenleben.

Eine historische Sichtweise brachte Joachim Kortner (76) aus Ebermannstadt ins Spiel. Der pensionierte Lehrer las aus seinem Roman „Mamas rosa Schlüpfer“. Eine an aktuelle Erfahrungen von Flucht und Vertreibung erinnernde Odyssee aus dem oberschlesischen Oppeln. Wie er als Fünfjähriger Bombensplitter gesammelt, seinen ersten Toten gesehen und auf einer offenen Ladefläche mit Mutter und Geschwistern „ein Scheiss-Kaff“ in Brandenburg erreicht hatte.

Blick in die poetische Welt

Als ehrenamtlicher Integrationslotse ist Dhaurgham Al-Dabagh (71) in Forchheim kein Unbekannter. Auch wenn es den promovierten Elektro-Ingenieur inzwischen nach Pottenstein verschlagen hat. Dabei hat er in den 60ern in Aachen und München studiert, und musste 1994 aus seiner Heimatstadt Mossul in den Jemen fliehen. Nun las er die Verse des Sultan Abdullah Hussein, mit denen er die Zuhörer in die geheimnisvolle, unglaublich poetische Welt der arabischen Lyrik entführte. Zuerst im Original, dann in seiner eigenen freien Übersetzung:

Ein erschütterndes Gedicht über einen Vater, der hofft, dass sein Sohn nicht erwachsen wird, damit er nicht das Blutvergießen, die Korruption und die Unterdrückung Unschuldiger miterleben muss, ließ Verzweiflung aufkommen. Ein träumerisches Liebesgedicht des Syrers Nizar Al-Qabbani machte danach wieder Hoffnung.

Kein Schaf blökte, als „Koyun Baba“ (Schaf-Vater) erschien. Stattdessen verwickelte Edgar Ocampo (34) seine Gitarre in ein virtuoses Kammerstück, das technisch und interpretatorisch keine Kleinigkeit ist. Die Suite des italienischen Komponisten Carlo Domeniconi basiert auf der Geschichte eines berühmten türkischen Mönches aus dem 15. Jahrhundert. Der soll fünfmal täglich nicht gen Mekka gebetet, sondern wie ein Schaf geblökt haben. Ein Heiliger wurde er trotzdem. Geboren in Mexiko-City, Gitarrenstudium in Kanada und Österreich, wohnt Edgar Ocampo derzeit in Bamberg. „Nach Europa bin ich wegen meines Gitarrenlehrers in Salzburg gekommen.“ Mit Luiz Bonfás bossanovigem Faschingsmorgen (Manha de Carnaval) rückte er einen brasilianischen Klassiker ins Rampenlicht, der inzwischen zum Jazz-Standard geworden ist.

Im Finale waren es die beiden Forchheimer Rapper „Kay-A“ alias Markus Hönig (21) und „Ey-Em“ aka Andreas Martin (21), die den Saal ausflippen ließen. Mit ihren sozialkritischen, tief emotionalen Texten klagten der „Rapkanzler“ und sein alter ego Geldgier, Unmenschlichkeit und Duckmäusertum an. „Ich hab kein Bock mehr, ein Blatt vor den Mund zu nehmen.“

So griffen sie zum Mikrofon und frontal an. Gemeinsam mit einer Gruppe syrischer Flüchtlinge aus Forchheim stimmten sie ihren Flüchtlings-Song „Nicht Okay“ an, der als Video-Clip auf Youtube bereits tausende Zuschauer hatte (wir berichteten). Fazit des JTF-Vorsitzenden Hubert Forscht nach einem unvergesslichen Abend: „In Forchheim leben viele Menschen, die eine tolle Kultur mitgebracht haben.“

Das nächste Offene Podium im Jungen Theater Forchheim findet am Samstag, 21. November, 20 Uhr, statt. Der Eintritt ist frei. Wer dort selbst auf der Bühne stehen möchte, kann sich unter Telelefon (0 91 91) 6 51 68 oder im Internet unter www.jtf.de melden.

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