Prozess um Forchheimer Messerstecher: Zeugen sagen aus

20.4.2016, 18:20 Uhr
Prozess um Forchheimer Messerstecher: Zeugen sagen aus

© Martin Regner

„Das Baby schläft“, soll der angeklagte Bamir H. (alle Namen geändert) gesagt haben, bevor es zu der lebensgefährlichen Auseinandersetzung in einer Forchheimer Unterkunft für Asylbewerber kam. Der 34-jährige Kosovar wird beschuldigt, einen syrischen Mitbewohner im Oktober vergangenen Jahres nach einem Streit um die Lautstärke mit einem Messer attackiert zu haben.

Auch am zweiten Prozesstag bleibt zu klären, welches Motiv Bamir H. genau trieb, zur Tatwaffe, einem Küchenmesser, zu greifen: Fühlte er sich durch das spätere Opfer, Jusuf W., angegriffen, so wie seine Ehefrau, Sonja H., es gestern in ihrer Aussage beschrieb? Oder war es doch ihr Mann, der zum ersten Schlag ansetzte? Der Angeklagte bleibt dem Anraten seines Anwalts treu, lieber nicht auszusagen. Umso wichtiger sind die Hinweise durch die erschienenen Zeugen. Durch ihre Aussagen nehmen die Geschehnisse in der Tatnacht am 28. Oktober 2015 zumindest bedingt Form an.

Ein Freund aus der Unterkunft hatte eine Aufenthaltsgestattung für drei Jahre erhalten und das feierten die fünf Syrer, darunter auch Jusuf W., in ihrem Gemeinschaftszimmer. Gegen Mitternacht ging W. dann für etwa zehn Minuten aus dem Zimmer, beschreibt einer der vier syrischen Zeugen.

Als W. zurück kommt, hämmert er an die Türe. Hinein kommt er von selbst nicht: Die Türe steht nur tagsüber offen, ab dem Abend ist sie zugesperrt. „Wir dachten noch, er macht Spaß“, so einer seiner Zimmergenossen. Nachdem ihm die Tür geöffnet wird, fällt Jusuf auch schon zu Boden. Mit letzter Kraft zeigt er auf seinen Rücken und ächzt: „Bamir, Bamir!“. Er hat Wunden von zwei Messerstichen im Rücken — eine davon ist lebensbedrohlich.

Nun steht Aussage gegen Aussage. In der Variante von Jusuf W. am ersten Verhandlungstag hieß es, dass er Bamir H. um Entschuldigung gebeten hätte, als dieser ihn zur Rede stellte, warum er mitten in der Nacht noch so laut gewesen sei. H. wäre so wütend gewesen, dass er W. trotzdem einen Faustschlag verpasst hätte. Danach soll der Angeklagte zum Messer gegriffen und sein Opfer damit attackiert und durchs Haus gejagt haben.

In der Variante von H.s Ehefrau Sonja klingt alles etwas anders: Jusuf W. soll einen Besenstiel aus Metall und Plastik zerbrochen haben und dem Angeklagten damit gedroht haben. Der Rest der Geschichte würde damit auf Gegenwehr beruhen.

Als der Richter den geladenen Zeugen den halbierten Besenstiel zeigte, wurde jedoch schnell klar: Die Bewohner verwendeten die Stange deshalb, eben weil sie schon länger kaputt war als Keil, um die besagte Türe damit offen zu halten. Sonjas Aussage, die bereits am ersten Verhandlungstag vom Staatsanwalt als „Märchen“ tituliert wurde, steht somit auf einem wackeligen Fundament.

Doch was war es dann, wenn nicht Gegenwehr, das den Familienvater zu seiner blutigen Tat bewegte? „Wir konnten nicht glauben, dass das Bamir war!“, heißt es von allen Befragten. Probleme zwischen Syrern und Kosovaren hätte es zuvor in der Unterkunft nie gegeben. Über Ethnien und Religionen hinweg galt der 34-Jährige als überaus freundlich. „Als wir neu angekommen sind, hat Bamir uns sehr geholfen“, sagt der eine. „Wir haben zusammen Fußball gespielt. Und er hat uns zum Kaffee eingeladen“, sagt der andere. Zudem soll der Angeklagte allen, die an diesem Tag im Zeugenstand sitzen, die Haare geschnitten haben. Erst als H. den Polizeibeamten, die ihn abführen, „Ich war es!“ sagte, bröckelte das Bild von ihm als freundlicher und hilfsbereiter Familienvater. Die Verhandlung dauerte zu Redaktionsschluss noch an.

Dieser Artikel wurde am 20. April 2016 um 18.22 Uhr aktualisiert.

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