Frauennotruf in der Krise: Desaströse Situation in Bayern

7.9.2017, 06:00 Uhr
Häusliche Gewalt und Missbrauch von Frauen und Kindern sind in Bayern nach wie vor Tabuthemen. Nur so ist es zu erklären, dass Beratungsstellen, Notrufe und Frauenhäuser keine oder nur geringe staatliche Zuschüsse bekommen und dementsprechende Schwierigkeiten haben.

© Foto: Jörg Lange/dpa Häusliche Gewalt und Missbrauch von Frauen und Kindern sind in Bayern nach wie vor Tabuthemen. Nur so ist es zu erklären, dass Beratungsstellen, Notrufe und Frauenhäuser keine oder nur geringe staatliche Zuschüsse bekommen und dementsprechende Schwierigkeiten haben.

Frau Böhm, Sie scheuen als Sprecherin der bayerischen Frauennotrufe zurzeit keinerlei Mühen, um auf die miserable Situation der Beratungsstellen aufmerksam zu machen. Was ist los?

Sabine Böhm: Die bayerischen Frauennotrufe arbeiten seit vielen Jahren an ihrer Kapazitätsgrenze. Von den 33 staatlich geförderten Einrichtungen, die es insgesamt im Freistaat gibt, sind 17 in Form eines gemeinnützigen Vereins organisiert. Diese 17 vertrete ich als Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauennotrufe und fast allen ist eines gemein: Sie müssen einen Großteil ihrer Aufwendungen selbst finanzieren und schaffen das leider nur bedingt.

Welche Konsequenzen hat das?

Böhm: Einige können diese Überlastung nicht mehr lange durchhalten. Sie müssen Personal entlassen, ihr Programm deutlich reduzieren. Manche denken sogar über eine Schließung nach. Die staatlichen Zuschüsse sind zu gering und an Bedingungen geknüpft, die nicht immer gegeben sind. Gleichzeitig stagniert die Gewalt an Frauen und Kindern auf hohem Niveau. Jede vierte Frau ab 16 Jahren wird einmal in ihrem Leben Opfer einer strafrechtlich relevanten Gewalttat. Jede siebte erlebt ein Mal im Leben sexualisierte Gewalt auf einem strafrechtlich relevanten Niveau.

Die Finanzierung ist demnach das Problem?

Böhm: Ja, die Finanzierung, aber auch die gesellschaftliche Anerkennung. Denn das Thema ist nach wie vor tabuisiert, anders ist es nicht zu erklären, dass Deutschlands reichstes Bundesland die Beratungslandschaft für von Gewalt betroffene Frauen und die Frauenhäuser so schlecht unterstützt.

Viele ärmere Bundesländer stellen viel mehr Mittel zur Verfügung. Einige berechnen sogar genau den notwendigen Personalbedarf der Beratungsstellen in Bezug zur Bevölkerungsdichte. Wir würden uns wünschen, dass ein Stellenschlüssel wie bei den Schwangerschaftsberatungsstellen auch für uns angelegt wird, das heißt eine Vollzeitstelle für 40.000 EinwohnerInnen.

Derzeit tut sich doch etwas. Die bayerische Sozialministerin Emilia Müller hat einen Arbeitskreis ins Leben gerufen, der ein Finanzierungskonzept für die Unterstützungslandschaft für Frauen in Bayern ausarbeiten soll.

Böhm: Das stimmt, darin sind neben den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, Mitarbeitern des Sozialministeriums auch die bayerischen Wohlfahrtsverbände vertreten. Sehr gefreut hat mich auch die Bedarfsermittlungsstudie, die Ministerin Müller bei der Universität Erlangen-Nürnberg in Auftrag gegeben hat. Das war der richtige Schritt nach vorne!

Die Ergebnisse dieser Studie waren aber doch alarmierend. Die Frauenhäuser in Bayern sind demnach total überfüllt. Jede zweite Frau wird abgewiesen und den Frauennotrufen geht die Luft aus.

Böhm: Doch genau das mit den Beratungsstellen ist nicht ins öffentliche Bewusstsein eingesickert. Das Beispiel der Frauenhäuser leuchtet der Politik eher ein. Es steht mittlerweile stellvertretend für den gesamte Bereich der Gewalt gegen Frauen und Kinder. Diese Dynamik haben wir unterschätzt.

Wie meinen Sie das?

Böhm: Jeder denkt doch, wenn die Frauenhäuser mehr Geld und Plätze bekommen, dann ändert sich die gesamte Situation der von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder in Bayern zum Guten. Doch die Frauenhäuser sind eine Säule des Hilfesystems. Die andere sind wir, die Beratungsstellen. Wir arbeiten sehr niedrigschwellig, leisten Präventionsarbeit und sehr häufig die Vor- und Nachbereitung von Trennungen. Wir unterstützen schwer traumatisierte Frauen, die in Frauenhäusern leben, denn das kann dort oft nicht geleistet werden, oder wir vermitteln Frauen ins Frauenhaus. Wir verfügen über eine großes Netzwerk und bereiten den Weg für weitere Hilfe. Der gesamte ambulante Bereich inklusive der Prävention liegt bei uns.

Aber das zweifelt doch keiner an, oder etwa doch?

Böhm: Doch, das hätten wir ja selbst nicht geglaubt. Diejenigen Menschen, die über uns entscheiden, können unsere Arbeit offenbar gar nicht einschätzen. Deshalb haben meine Kolleginnen und ich auch schon im besagten Arbeitskreis der Sozialministerin referiert, eine große Kampagne im Landtag gestartet und uns mit den Politikern der unterschiedlichen Parteien im Landtag ausgetauscht und deren Fragen beantwortet.

Und? Waren Sie erfolgreich?

Böhm: Der Bedarf wird nicht bestritten, es hat sich momentan nur alles auf die Frauenhäuser verkürzt. Es muss klar werden, dass die vielen anderen Formen von Gewalt (sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Digitale Gewalt, Stalking, etc.) von den Frauennotrufen und –beratungsstellen aufgefangen werden.

Wir Mitarbeiterinnen in den Notrufen führen aber leider keine Statistik dazu, wie viele Frauen wir abweisen müssen, denn – wir weisen keine ab. Wir machen stattdessen etliche Überstunden, schichten Termine um, holen kurzfristig Honorarkräfte ins Boot und beuten uns dabei selbst am meisten aus.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Böhm: Unser größter Fehler, in Anführungszeichen, hier in der Beratungsstelle in Nürnberg war es, trotz fehlender Gelder eine Hilfe für traumatisierte Flüchtlingsfrauen aufzubauen. Wir haben dafür für ein Jahr eine Halbtagsstelle über Drittgelder finanziert. Das signalisiert natürlich den Geldgebern, dass wir das ohne staatliche Hilfe hinkriegen, doch das stimmt so nicht. Es war ein Riesenaufwand. Wir brauchen dringend eine gesicherte Unterstützung!

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