Kapriziöse Eskapaden und rauschhafter Spielfluss

10.3.2014, 11:30 Uhr
Kapriziöse Eskapaden und rauschhafter Spielfluss

© Hans-Joachim Winckler

Abseits ausgetretener Pfade und meilenweit entfernt von billiger Rührseligkeit haben die renommierten Protagonisten nicht nur ihre Klasse unter Beweis gestellt, sondern dem Klezmer auch außergewöhnliche Perspektiven eröffnet. Mit ihrer weltmusikalischen Gratwanderung griffen Vira Lozinsky und das Emil Aybinder-Ensemble den Spielball auf, den die lettische Rockformation „Forshpil“ als Ouvertüre vor einer Woche in der Koffer energisch losgetreten hatte.

Auch „Forshpil“ hat sich, wie berichtet, auf die Gratwanderung gemacht, um den Klezmer in populären Klangregionen zu erden. Doch während sich die Letten mit gesteigertem Pathos ans Werk machten, bewerkstelligen es Lozinsky und ihre Mannen vor gesetzterem Publikum mit zur Schau gestellter Nonchalance. Allein das Kaliber ihrer Musik macht Gänsehaut. Mit ihrer modulationsfreudigen, weichen Altstimme besticht die Diva mühelos. Das Unaufdringliche ihres Ausdrucksreichtums kennzeichnet ihr Können.

Mit Aybinder hat sie aber auch einen Partner an der Seite, der seine Virtuosität ebenfalls durch äußerste Zurückhaltung zur Schau stellt. Stimme und Instrument wirken so wie aus einem Guss und ergänzen einander nahtlos. Geiger Pavel Levin steuert Gypsy-Kommentare bei, dezent unterstützt von den beiden Wienern Vladimir Blum (Gitarre) und Hannes Lazakovits (Bass). Querbeet geht es durch den Balkan. Im Czárdás schwelgt das Ensemble ebenso wie im Tango. Und bei „Tico Tico“ als Zugabe hat es endgültig die Fesseln des Klezmer abgelegt.

Die Spielfreude des Ensembles wird von der Begeisterung des Publikum so sehr befeuert, dass auch die Zeitgrenzen fallen. Und so kann Klarinettist Michael Winograd mit seinem Ensemble erst mit halbstündiger Verspätung den zweiten Part des Doppelkonzerts in Angriff nehmen. Doch der wird dann noch gehaltvoller. Hochkonzentriert brechen Bassist Benjy Fox-

Rosen, Pianistin Anat Fort und Geigerin Deborah Strauss mit dem überragenden Winograd zu neuen Ufern auf.

Beim Festival 2012 hatte der Klarinettist bereits unter Fox-Rosens Regie seine Klasse bewiesen. Mit vertauschten Rollen knüpft er nun daran an. In Kompositionen, die mir ihrer romantischen Tonsprache aus der Zeit gefallen scheinen, werden die Klangräume des Klezmers erweitert. Punktgenaues Zusammenspiel zeichnet das effektvolle Musizieren aus. Auch hier besticht die Homogenität selbst in kapriziösen Eskapaden und im jähen Wechsel der Bewegung.

Spannend, überraschend, in jeder Hinsicht elektrisierend.

Es kommt nicht auf das Was an, sondern auf das Wie. Eine im Grunde sattsam bekannte Binsenweisheit, deren simple Wahrheit einen jedoch immer wieder aufs Neue in Erstaunen versetzen kann. Gerade beim Fürther Klezmer Festival, wo sich die unterschiedlichsten Spielarten des Genres auf Augenhöhe begegnen und man stets damit rechnet, dass hinter der nächsten Ecke ein weiterer gewagter Klezmer-PunkWorld-Jazz-Cocktail angerührt wird.

Und dann kommt eine Band wie die Kanadier Kleztory daher und haut einen vollkommen aus den Latschen.

Mit einer Musik, die vertrauter und altbekannter nicht klingen könnte: Traditioneller Klezmer — sattsam bekannte Melodien, Harmonien und Phrasierungen, die man meint, im Schlaf mitsummen zu können. Und doch ist man schon bei den ersten Tönen hellwach und ergibt sich mit allen Sinnen dem rauschenden Fluss der Musik. Magie? Und ob! Klarinettist Airat Ichmouratov, Geigerin Elvira Misbakhova, Tsimbl-Spieler Alexandru Sura, Akkordeonistin Melanie Bergeron, Gitarrist Dany Nicolas und Bassist Mark Peetsma sind eben nicht nur erfahrene, technisch höchst versierte Musiker — nein, sie haben ihre Musik so tief verinnerlicht, dass sie fähig sind, sie in jedem Augenblick aus sich heraus neu zu erschaffen.

Mit unbändiger Leidenschaft zelebriert das Sextett Melancholie und satte Lebensfreude in atemberaubenden Soli, einer großen dynamischen Bandbreite und rhythmischer Perfektion. So kreativ, so frisch kann traditioneller Klezmer klingen!

Da erscheint es fast etwas ungerecht, das nachfolgende Konzert mit Melech Mechaya an dieser Begeisterung messen zu wollen. Die fünf jungen Portugiesen verfolgen einen gänzlich anderen Ansatz als die Kanadier. Mit unvoreingenommener Experimentierfreude kombinieren sie mehr oder weniger bekannte jiddische Melodien mit meist lateinamerikanisch geprägten Stilen wie Bossa, Reggae oder Rumba.

Dabei sind sie sichtlich bemüht, der Bedeutung ihres hebräischen Namens — „Die Partykönige" — gerecht zu werden. Und obwohl sie auf ein begeisterungsfähiges Publikum treffen, können die sympathischen Mitsing- und Tanzanimationen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihrer Musik doch etwas an emotionaler Tiefe und Raffinesse fehlt.

Nichtsdestotrotz bereiten Melech Mechaya den dankbaren Zuhörern einen netten, ausgelassenen Tanzabend. Es muss ja nicht immer gleich ein spirituelles Erweckungserlebnis sein.
 

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