Pogrom-Gedenken mal anders

11.11.2011, 11:00 Uhr
Pogrom-Gedenken mal anders

© Dennis Boss

Ganz am Schluss, wenn alles gesagt ist und das Konzert fast vorbei, geht Esther Bejarano noch einmal für eine Zugabe nach vorne an den Bühnenrand. „Jetzt kommt mein Lieblingslied“, verrät sie. Und dann steht die 86-Jährige ganz still, breitet die Hände aus und singt mit ihrer klaren, alterslosen Stimme: „Wir leben ewig, wir halten durch.“

Esther Bejarano war 19, als sie ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde. Als die SS die Gründung eines Mädchen-Orchesters befahl, meldete sie sich und sagte, dass sie Klavier spielen könne. Das Akkordeon, das sie dann in die Hände gedrückt bekam, beherrschte sie nicht und doch half ihr das Instrument, dessen Bedienung sie sich selbst zusammenreimte, ein Stück weit beim Überleben.

Auf der Bühne des Kulturforums liest Esther Bejarano, eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz, aus ihrer Biografie, bevor sich ungewöhnliche Verstärkung zu der zierlichen, nicht ganz 1,50 Meter großen Frau gesellt: Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino von der 1989 in Köln gegründeten türkisch-italienisch-deutschen Rap-Formation „Microphone Mafia“. Esthers Sohn Joram übernimmt die Begleitung.

Pogrom-Gedenken mal anders

© privat

Ihre musikalische Zusammenarbeit richtet sich gegen den Versuch einer rechten Unterwanderung der Jugendkultur – und funktioniert auf faszinierend unangestrengte Weise perfekt. Die Basis bildet Esther Bejaranos Programm, das sie seit Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit ihrer Familienband „Coincidence“ auf die Bühnen bringt.

Ihre Musik – unter anderem Lieder, die in den Ghettos und Vernichtungslagern entstanden – wurde nun mit einem Hip-Hop-Beat unterlegt und gerappten Text auf türkisch, italienisch oder kölsch aufgemischt. 2009 veröffentlichten „Bejarano & Microphone Mafia“ die erste gemeinsame CD „Per la Vita“, das zweite Album steht kurz vor der Vollendung.

Ausdrucksvolle Stimme

Und, nein, Esther Bejarano ist nicht zum leidenschaftlichen Hip-Hopper geworden. Sie ist sich und ihrer Kunst beim gemeinsamen Tun treu geblieben, singt nach wie vor mit ihrer ausdrucksvollen Stimme ihre Songs, während Kutlu und Rossi neben ihr dem Sprechgesang frönen. Doch gerade in dieser äußerst liebevollen Koexistenz liegt ein Teil des besonderen Zaubers, der von ihren gemeinsamen Auftritten ausgeht.

„Gut vierzig Prozent von Ihnen waren wohl noch nie auf einem Rap-Konzert“, erkundigt sich Kutlu Yurtseven irgendwann grinsend beim Publikum. Eine Schätzung, mit der er wahrscheinlich richtig liegt. Doch die Reihen im sehr gut besuchten Kulturforum lichteten sich nur unwesentlich, als nach dem offiziellen Teil mit Ansprachen unter anderem von Oberbürgermeister Thomas Jung und Dekan Jörg Sichelstiel das Konzert begann.

Die Gedenk-Veranstaltung, die zum ersten Mal in dieser Form vom Evangelischen Bildungswerk in Kooperation mit der Stadt Fürth, dem Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und weiteren Gruppierungen organisiert worden war, vereinte auch vor der Bühne verschiedene Generationen und Geschmäcker mit einem gemeinsamen Anliegen: Dem entschiedenen Nein zu alten und neuen Faschisten. Daraus wurde ein kraftvoller, unüberhörbarer Appell für Freiheit und Toleranz.

 

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