20 000 Tage Freude, Ärger, Träume, Entscheidungen

15.2.2018, 12:15 Uhr
20 000 Tage Freude, Ärger, Träume, Entscheidungen

© Foto: André De Geare

Eine Frau auf einer blutüberströmten KZ-Mauer, darunter der Text: "Heinrich, lass die Mauer erhöhen, es läuft über!" Versteht sich, dass mit Ärger zu rechnen hatte, wer derlei spitzfindige, satirisch-boshafte Kunst-Kommentare zum grusligen Zeitgeschehen zum Besten gab.

Bernhard Nowak stand links. Politischen Anfeindungen ist der meinungsfreudige Herr seit Anfang der dreißiger Jahre ausgesetzt, ab 1933 ist er nicht ganz zufällig arbeitslos und dem Berliner Stadtbauamt als Hilfsarbeiter zugeteilt. Die Jahre mit den Hitlerkarikaturen und den Zeichnungen, die massive Kritik am NS-Regime üben, sollten da erst noch kommen.

Bernhard wer? Der Münchner Maler, der 1985 in Ostberlin starb, ist ein gründlich Vergessener. Kunsthistoriker sprechen von der "verschollenen Generation" jener Künstler, die in der Zeit der Weimarer Republik im Gespräch und nicht nur Experten ein Begriff waren — und die nach dem Krieg vergeblich an einstige Erfolge anzuknüpfen versuchten. Jawohl, ein Vergessener: Dem Betrachter, der sich in Christian Fritsches Galerie in der Promenade Zeit nimmt für Bernhard Nowaks Arbeiten — rund 70 Originale sind hier ausgestellt — fällt die Kinnlade runter.

Es ist nicht nur, aber auch eine Begegnung mit einer verwegenen Bildsprache, wie man sie von Dix und Liebermann kennt. Da sind sie also, die Barfrauen, die Trinker, die Spieler — und überhaupt, um beim Thema Frauen zu bleiben: Ein Kostverächter war dieser Nowak, der sich seit Anfang der zwanziger Jahre das Pseudonym "Cavon" zulegte, im wahren wie im Künstlerleben beileibe nicht, wie zahlreiche pikante Akte dokumentieren.

Herren, die auf Damen schauen. Damen, die Hüte tragen wie Kronen und die Zigarette rauchen wie Kaiserinnen. Nowak-Cavons Auge für Mode: grandios. "Salzburger Festspielpublikum" heißt eine Arbeit aus den dreißiger Jahren. Wenige Striche genügen, und eine großbürgerliche, in teuerste Düfte eingehüllte Welt entsteht vorm geistigen Auge. Der Spott, nicht nur der politische, hat mal mildere, mal wildere Züge, aber er ist Nowaks Stil zu eigen. Churchill, die Amerikaner: Für ihn nichts als eiskalte Krieger.

In München geboren, geht er nach dem Abitur an die Akademie der Bildenden Künste, wird Mitglied im Künstlerbund "Die Unabhängigen" und ab 1929 Stipendiat des Künstlerhauses in Salzburg. Die Kritik würdigt die "auffallende Schärfe des Blicks", seine Formensprache und Ironie. Viele Ausstellungen im Salzburger Raum folgen, für Tourismusprospekte führt er die schwungvolle Feder. Doch selbst die Kollegen in Salzburg mussten von Fritsche wachgerüttelt werden. Der Wiederentdeckungs-Weg führt über abenteuerliche Abzweige nach Hof und schließlich nach Fürth.

Nach einem Fliegerangriff schwer verwundet, wird Nowak 1945 von den Amerikanern nach Salzburg gebracht, doch seine Aufenthaltsgenehmigung erfährt keine Verlängerung. Im Frühjahr 1946 siedelt er frustriert nach Berlin über und zieht drei Jahre später nach Gründung der DDR in den Ostteil um, fest überzeugt, im besseren Deutschland zu leben, einem Deutschland, das die Freiheit der Kunst zu schätzen weiß. Was man so hofft. In vielen Dingen gründlich desillusioniert, stirbt Nowak 1985 — woraufhin das Abenteuer beginnt.

Die Witwe knüpft Kontakte zu Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowsky, eine Leipziger Galerie bekommt den Auftrag, den Nachlass Nowaks zu versilbern. In den Wirren der Wendezeit jedoch wird der Nachlass zum Dachboden-Inventar, ein Teil des Bestandes gelangt an einen Antiquitätenhändler. Auf einer Messe in Kulmbach erblickt Ende der neunziger Jahre Karl Kern 180 Arbeiten. Ohne zu wissen, von wem die stammen, aber voller Begeisterung kauft er alles.

Von dem Moment an ist der Hofer Gymnasialdirektor Kern ein Nowak-Enthusiast, der alles daransetzt, das versprengte Gesamtwerk unter seinen Fittichen zu vereinen, mehr als 1500 Titel. Das Projekt gelingt, und bei zwei Ausstellungen, die Kern mit Nowak-Werken in Selb und Hof organisiert, wird der Fürther Galerist Fritsche auf den Künstler aufmerksam.

Als Fritsche beim "Gastspiel" 2009 des Kulturrings C eine erste Nowak-Schau zeigt, ist die Begeisterung immens. Kein Wunder, denn der grafische Drive, die Eleganz und der auch ab den fünfziger Jahre beibehaltene Weimarer Stil haben schier magische Anziehungskraft. Kern wiederum belässt es nicht beim Sammeln und Ausstellen. Nowak wird zu seinem Lebenswerk, was nun jene knapp 600 Seiten dokumentieren, die Fritsche vor wenigen Wochen in seinem Buchverlag edition promenade (und pünktlich zum "Gastspiel" 2017) veröffentlichte.

Entstanden ist ein hochwertig aufgemachter, mit sehr vielen Abbildungen versehener, detailreich erzählter biografischer Roman, der sich dem Leben Nowaks widmet, aber auch der innerdeutschen Kultur- und Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ein verschollener, "entarteter" Künstler, enttäuscht von zwei Systemen, ist zurück auf der Landkarte. Professionelles Geleit gab dem Buchprojekt als Lektorin die in Fürth lebende Germanistin und Kunsthistorikerin Frauke Beyer.

Und die zweite Hälfte der Nowak-Odyssee durchs 20. Jahrhundert? Für belletristische Zeitschriften, Tageszeitungen und Magazine hatte er schon in den Zwanzigern gearbeitet. In Berlin, im Osten, versucht er den Neustart bei der Täglichen Rundschau, Vorgänger des Neuen Deutschland. 1954 fungiert er als künstlerischer Leiter der Satirezeitschrift Eulenspiegel, ab den Sechzigern publiziert er freischaffend. Bereits 1956 erscheint eine monumentale Monografie über sein Idol und Vorbild Fritz Koch-Gotha, den die meisten als Schöpfer der "Häschenschule" kennen. In der Tat ist dessen scheinbar flüchtiger, farbintensiv-plastischer Stil in Nowaks Tuschearbeiten — wie etwa "Von Männern begehrt" oder "Der rote Hut", Titelbild des Buches und um 1930 entstanden— unschwer zu erkennen.

Als Redakteur, Zeichner und Bildchef ist er, SED-Mitglied seit 1952, wer in der DDR, nach seinem Tod ein Niemand. Vor allem aber muss der Künstler in Cavon in die innere Emigration. Stets blieb er dabei, wie in der Promenade vielfältig zu sehen ist, gegenständlich; er mied die Abstraktion ebenso wie die strikten Vorgaben des sozialistischen Realismus.

Zwischen Geburt und Tod, heißt es im Prolog zum Kern-Buch, lagen 81 Jahre und 86 Tage. "Fast 30 000 Tage standen mir also zur Verfügung. Davon streiche ich 7300 Tage für mein Heranwachsen und für das Siechtum (. . .). Bleiben gut 20 000 Tage, an denen ich ein Ziel verfolgt, an denen ich beobachtet und gestaltet, an denen ich mich gefreut und geärgert, an denen ich geträumt und Entscheidungen getroffen habe. Menschentage waren die schönsten, ganz besonders die Frauentage."

Galerie in der Promenade (Hornschuchpromenade 17), nach Vereinbarung unter Tel. 70 66 60. Bis 28. Februar.

Karl Kern: "Cavon — Leben und Werk des Bernhard Nowak", 592 Seiten, ISBN 978-3-944897-04-2, 38 Euro

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