Abschied von der Fürther Wollstube

9.4.2018, 06:00 Uhr
Abschied von der Fürther Wollstube

© Foto: Ralf Rödel

Sieht so Strickliesels Paradies aus? In den Fächern, die dicht an dicht fast bis unter die Decke reichen, stapelt sich Garn. Zartflauschiges schmiegt sich an Robustes. Weiches in Babyrosa ist nur eine Stricknadellänge von der Sockenwolle entfernt, die sich beim Nadeln auf fast magische Weise wie von selbst zu einem Muster formt. Mitten in diesem Wollvorrat, der alle Farben des Regenbogens vereint, steht würdevoll die alte Ladenkasse. Ein fast schon historisches Stück.

Praktische Tipps

"Der Laden war das Leben meiner Mutter." Doris Dratz (50) umfasst die Regale, die mit allem bestückt sind, was Handarbeiter wünschen. Brigitte Reichel hatte Anfang der 90er zunächst in der nahen Ludwig-Erhard-Straße den Wollladen Biller übernommen. Vor 13 Jahren zog sie dann mit ihrem Geschäft in die Hirschenstraße um. "Bei ihr gab es nicht nur das gesamte Material, sondern eben auch praktische Tipps. Wenn man reinkam, dann saßen hier eigentlich immer ein paar Frauen zusammen, strickten, tranken Kaffee und erzählten."

Denn die Wollstube war stets auch ein Treffpunkt. Hier wurde zugehört und es gab Rat. "Außerdem hat sie wie eine nette Handarbeitslehrerin jedem Mut zugesprochen, es doch einfach mit dem Stricken zu versuchen und genau erklärt, wie’s gemacht wird." Denn Brigitte Reichel wusste, wie gut es sich anfüllt, ein selbst gearbeitetes, passgenaues Stück in den Händen zu halten. Die Mützen, Topflappen, Schals, Puppenkleider, die sie gefertigt hat, sind noch immer im Laden ausgestellt. Doch inzwischen informiert am Schaufenster ein Schild darüber, dass nun der Räumungsverkauf beginnt (jeweils freitags von 9.30 bis 12.30 Uhr und von 14.30 bis 18 Uhr, samstags von 9.30 bis 13 Uhr). Denn Doris Dratz und ihre Schwester Dagmar Lux (45) werden das Geschäft nicht weiterführen.

Der Grund ist nicht zuletzt, dass "wir einfach nicht das Wissen unserer Mutter haben und nicht die gleiche Unterstützung für die Kunden bei ihren Handarbeitsprojekten bieten könnten". Die Schwestern wissen: "Der Laden hat von ihrer Persönlichkeit gelebt." Beide wären froh, wenn "sich jemand melden würde, der Freude daran hat, das Geschäft komplett zu übernehmen und weiterzuführen".

Perfektes System

Im Moment müssen die Schwestern allerdings versuchen, den Durchblick über die Schätze der Wollstube zu bekommen. "Sie hatte ihr ganz persönliches, perfektes System", erinnert sich Doris Dratz. Es habe stets völlig genügt, wenn ein Kunde zum Beispiel sagte: "Ich brauche diese blaue Wolle, Sie wissen schon." Dann griff Brigitte Reichel sofort nach dem richtigen Knäuel – weil sie sich immer genau merkte, wer welches Garn in Arbeit hatte.

Was es bei ihr nicht gab, waren "Uvos", sprich: unvollendete Werke. Denn falls es gar nicht weiterging, strickte sie für ihre Kunden auch schon mal die komplizierten Stellen. Doris Dratz greift unter die Verkaufstheke und zieht eine Tüte hervor, in der solch ein halbfertiges Pulli-Teil steckt. An ihm hat Brigitte Reichel offensichtlich die tückischen Abnahmen gemeistert: "Leider wissen wir nicht, wem das gehört."

Auf kreative Menschen wartet jetzt auch der Stramin, der bestickt werden soll. Oder die vorgefertigten Schuhsohlen, die zu Hüttenschuhen verarbeitet werden können. Dazu ungezählte Knöpfe, bunte Reißverschlüsse, Filzwolle, Häkelnadeln in allen Stärken . . .

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