"Altersarmut ist eine Schande für Deutschland"

29.6.2017, 11:15 Uhr

© Foto: Hubert Bösl

Die Frau am Rednerpult entschuldigt sich zunächst. "Ich mach’ das hier zum ersten Mal", sagt Lore Kirsch. Dann erzählt die 74-Jährige, dass sie zehn Jahre pausiert hat, um ihre Kinder großzuziehen; als diese in die Schule kamen, arbeitete sie zunächst halbtags, erst später Vollzeit in einem "typischen Frauenjob", wie sie sagt. Als sie dann in den Ruhestand trat, lagen ihre Altersbezüge knapp über der Grundsicherung. "Ich musste von 200 Euro im Monat leben." Jetzt geht es ihr etwas besser. Weil sie vier Nebenjobs hat. "Ich werde wohl arbeiten, bis ich umfalle."

Es sind Biografien wie Kirschs, die viele Menschen am Rentensystem zweifeln und verzweifeln lassen. Gewerkschaften, Sozialverbände und Kirchen haben daher zur ersten Fürther Demonstration gegen Altersarmut aufgerufen. Angeblich die erste überhaupt in Deutschland, sagt Horst Honeiser vom VdK in Fürth. Er verweist auf den Beitrag eines TV-Magazins, das zwei fast identische Erwerbsbiografien in Deutschland und Österreich verglichen hat. Das Ergebnis: Der Österreicher bekomme fast 55 Prozent mehr Rente. "Weil dort alle ins System einzahlen", so Honeiser. Er definiert Altersarmut mit den Worten eines Ökonomen so: "Wenn die Rente unter dem Hartz-IV-Satz liegt."

Der katholische Dekan André Hermany sagt, während er am Nachmittag einen Kaffee trank, habe er gleich drei alte Menschen gezählt, die in Mülleimern nach Pfandflaschen gesucht hätten. "Es ist eine Schande", ruft er, "wenn jemand 40 Jahre arbeitet und dann in Armut leben muss."

Jaana Hampel von ver.di ergänzt: "Von Rente muss man leben können." Das derzeitige System jedoch garantiere den sozialen Abstieg. Aus ihrer Gewerkschaftsarbeit kenne sie Frauen, die 40 Jahre Vollzeit im Einzelhandel gearbeitet haben, um dann im Ruhestand von 800 Euro monatlich zu leben. "Die müssen zum Amt und um Hilfe betteln. Das ist eine Schweinerei." Das Nachbarland Österreich zeige, dass es ein anderes, ein besseres Modell geben kann. Alle müssten mehr in die Rentenkassen einzahlen, vor allem aber die Arbeitgeber.

Oberbürgermeister Thomas Jung findet ebenfalls klare Worte: Er sieht Altersarmut auch als Gefahr für den sozialen Frieden in diesem Land. Der Ruf nach mehr Steuerlast für diejenigen, die viel verdienen, sei "kein sozialistisches Teufelszeug", sondern dringend nötig. Dieses Geld müsse gezielt in Bildung für die Jüngeren fließen, aber auch in die Rentenkassen.

Als Hauptredner des Abends stellt der Awo-Landesvorsitzende Professor Thomas Beyer klar, dass das Absenken des Rentenniveaus von Politikern und Arbeitgebern gewollt ist. "Die Leute sollten mehr privat vorsorgen", sagt Beyer über die Idee. Doch das funktioniere nicht. "Die Riesterrente ist tot", betont Beyer. Deutschland benötige dringend einen Kurswechsel. Um das zu erreichen, so der frühere Sprecher der nationalen Armutskonferenz, "braucht es aber noch viel mehr Abende wie heute".

Keine Kommentare