„Arme Menschen haben keine Lobby“

22.3.2014, 21:00 Uhr
Sichtbares Zeichen einer neuen Form von Armut: Ein Mensch wühlt im Abfall nach Verwertbarem.

© dapd Sichtbares Zeichen einer neuen Form von Armut: Ein Mensch wühlt im Abfall nach Verwertbarem.

„Arme Menschen haben keine Lobby, deshalb lag es uns am Herzen, dieses immer drängendere Problem zu thematisieren“, so Norbert Boehnki aus der Geschäftsstelle der Erwachsenenbildungseinrichtung. Der in Fürth beheimatete stellvertretende Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, Alexander Jungkunz, moderierte die Diskussionsrunde. „Rein subjektiv hat es Armut in dieser öffentlichen Form früher nicht gegeben“, formulierte er in Bezug auf Menschen, die in Abfallbehältern wühlen, um noch etwas Brauchbares zu finden.

Falsch verteilt

Für Thomas Beyer, Sprecher des Armutsberichtes, hat sich die Armut in Deutschland auf hohem Niveau verfestigt. Während bundesweit 14,5 Prozent der Menschen von Armut gefährdet seien, liege die Quote in Bayern mit 13,8 Prozent nur geringfügig darunter. Auch die Verteilung des Privatvermögens von über zehn Billionen Euro habe sich weiter verschärft. Armut ist nach Beyers Worten „falsch verteilter Reichtum“.

Obwohl die Kleeblattstadt im Strukturwandel viel bewältigt hat, zum Beispiel die Folgen der Quellepleite gut abfedern konnte, sind laut Günther Meth, Geschäftsführer des Fürther Jobcenters, derzeit 6500 erwerbsfähige Unterstützungsempfänger registriert. Etwa 40 Prozent davon sind im so genannten Langzeitbezug seit mehr als vier Jahren ohne eine feste Arbeit. Dazu komme die hohe Zahl der Menschen, die keinen Schul- oder Lehrabschluss haben.

„Der Schlüssel ist Qualifikation“, so Meth. Seit 2013 gebe es nachhaltige Qualifizierungsmaßnahmen, die in zwei Jahren zu einem Berufsabschluss führen sollen. Die Tendenz, dass neben alten immer mehr junge Menschen auf die Unterstützung angewiesen sind, beobachtet auch Traudel Cieplik von der Fürther Tafel. Es gebe eine erschreckend hohe Zahl junger Menschen, die aus Hartz-IV-Familien kommen und aufgrund ihrer Bildungsdefizite keine Ausbildung vorweisen können. Die Statistik besage, dass rund 17 Prozent der unter 15-Jährigen von Sozialleistungen leben müssen, neun Prozent aller Fürther von Altersarmut betroffen sind.

„Es sind monatlich einige tausend Menschen, denen wir mit Nahrungsmitteln helfen“, so Cieplik. Sie bat um mehr Unterstützung durch die Stadt. Es müsse gar nicht immer Geld sein, auch Helfer würden gebraucht.

Erschreckende Zahlen

Nach Ansicht von Stephan Stadlbauer, Sprecher des Sozialforums Fürth, verwalten die Tafeln die Not nur, verringerten sie aber nicht. Er mahnte in Fürth „dringend mehr Sozialwohnungen“ an. 1021 Wartende stünden aktuell auf der Liste, seit 2006 hätten sich die Mittel für kostenlose Unterkünfte nicht erhöht. 114 Zwangsräumungen im Vorjahr seien viel zu viel, auch die 864 Stromsperrungen nicht hinnehmbar. Außerdem sei die Armut in Fürth deutlich größer als bekannt, denn viele Betroffene würden nicht erfasst.

Sozialreferentin Elisabeth Reichert wiederum will im kommenden Jahr eine Fachstelle zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit einrichten. „Wir haben nicht genug Wohnungen, die bezahlbar sind“, räumte die SPD-Politikerin ein. Reichert kündigte mehr Mittel für die Wärmestube an.

Einig waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde im Elan, dass die Problematik der Altersarmut auch in der Kleeblattstadt noch zunehmen wird. Als Gründe wurden unter anderem zu geringe Löhne, zu viele 454-Euro-Jobs und schlecht oder gar nicht bezahlte Praktika angeführt. „Armut ist keine private Schuld, und es wird Zeit, dass wir offen und intensiver als bisher darüber diskutieren“, betonte der Sprecher des Sozialforums Fürth.

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