Blick fürs Wesentliche

7.11.2013, 16:00 Uhr
Blick fürs Wesentliche

© Hans-Joachim Winckler

Schrade, Jahrgang 1967, arbeitet als Reportagefotograf, das schärft den Blick fürs Wesentliche. Daneben erstellt er Firmenportraits, also betont imposante Bilder. Da staut sich im Lauf der Zeit so einiges an. Seine Bilder in der Art Galerie sind sämtlich schwarzweiß, mit einer Vorliebe für Breitwand und Weitwinkel. So steht ein Passant, der auf dem Wartestreifen zwischen zwei Fahrbahnen auf die Straßenbahn wartet, zwar ganz im Zentrum des Bildes und wirkt doch verloren. Die zerknautschte Jacke in der Rückenansicht, das lichte Haar am Hinterkopf verraten einiges über Alter und Verwahrlosung. Wir wissen nicht, wohin der Mann sich wenden wird. Und wer die Ecke am Nürnberger Stadtpark kennt, weiß, dass der Wartestreifen bald zu Ende geht.

Oft sind es Einzelgänger, die in der Menschenmasse auffallen, die Tom Schrade herauspickt. Etwa den Mann, der sich bei einem Volksauflauf am Jakobsplatz mit unwirscher Geste abwendet, während die Herde auf eine Attraktion außerhalb des Bildes starrt. Wir wissen nicht, worum es sich dabei handelt. Und so ist auch Schrades Fotografie, sie wirft Fragen auf, gibt keine Antworten. Schrade bevorzugt harte Kontraste, auch und gerade beim Bild eines spielenden Kindes mitten im Berliner Holocaust-Stelenfeld. Die verwischte Bewegung des Kinds kontrastiert mit der starren Statik der Zementblöcke, das leuchtende Rot des Anoraks mit dem Dunkel des Steins, den ahnungslosen Spieltrieb mit der Aura der Bitternis und Desorientierung.

Ohne Romantik



Auch den Trempelmarkt am Nordostbahnhof entkleidet Schrade jeglicher Flohmarkt-Romantik. Die Gegenstände, die enttäuschten Gesichter der Passanten, die Klamotten signalisieren: Hier geht es nicht um Entdeckungen vom Dachboden, hier geht es allein um Gebrauchtware für den schmalen Geldbeutel.

Doch denunziert Schrade seine Passanten niemals. Eine beinamputierte alte Dame im Rollstuhl setzt er monumental ins Bild. Die fehlenden Beine, die muskulösen Arme und vor allem der prüfende Blick der alten Frau zeugen mehr von innerer Stärke als von Gebrechlichkeit und Schwäche.

Ganz anders nun die Gemälde, die - ebenfalls wie die Fotografien - keinen Titel tragen. Auf der grauen Leinwand verteilt Schrade scheinbar willkürlich, mal in hauchdünner Linie, dann in Klecksen oder chaotisch anmutenden Ballungen und Gespinsten die drei Farben Schwarz, Weiß und Rot. Treffen Schwarz und Weiß aufeinander, so ergibt sich nicht etwa Grau, sondern ein Zwischenton aus ranzigem Gelb und Braun. Grund dafür ist das Material, Schrade verwendet eine selbst gemixte Kunstharzlackmischung. Mit dem Pinsel taucht er in die Farbe ein und schleudert diese aus dem Handgelenk auf die Leinwand. Dabei erzielt er die unterschiedlichsten Wirkungen, je nachdem, wie viel Farbe der Pinsel aufnimmt, wie stark oder sanft er seine Schleuderbewegungen ausführt, und je nach Konsistenz der Farbe. So sind die langen haarfeinen Linien nicht mit dem Stift gezogen, sondern tatsächlich in gleitender Bewegung auf die Leinwand getropft. Der Effekt erinnert an Satellitenaufnahmen von Großstädten bei Nacht mit ihren reizvollen Konglomeraten aus Licht, Dunkelheit und Grauschattierungen. „Das Problem bei diesen Bildern lautet bloß: wann habe ich die beste Wirkung erzielt, wann höre ich auf“, erläutert der Künstler.

Bis 22. November im Kunstschaufenster des City-Centers, Alexanderstr. 11. Do. bis Sa. ab 14 Uhr. Vernissage am Freitag, 8. November, 18 Uhr.
 

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