Cadolzburg statt Bethlehem

24.12.2016, 09:00 Uhr
Cadolzburg statt Bethlehem

© Foto: Sabine Rempe

Maria und Josef, dazu das Kind. Ochs, Esel und ein paar Schafe sind immer gern gesehen, außerdem gesellen sich die drei Weisen aus dem Morgenland dazu. Eine Krippe. So und nicht anders sehen die meisten aus. Auch die, die George aus Bethlehem mitgebracht hat. Seine Familienmitglieder verdienen sich mit dem Schnitzen den Lebensunterhalt .

Sie sind Christen und zählen damit zu einer Bevölkerungsgruppe, die zunehmend eine Minderheit bildet in der Stadt, die in der Bibel als Geburtsort von Jesus genannt wird. Georges Alltag ist von der vertrauten Krippenszene freilich mindestens genau so weit entfernt, wie Cadolzburg von Bethlehem.

In seiner Heimatstadt, die in den palästinensischen Autonomiegebieten liegt, leben knapp 30 000 Menschen, Muslime und Christen. Der Tourismus bildet hier den bedeutendsten Wirtschaftsfaktor. Das Bild der kleinen Stadt im judäischen Bergland wird geprägt von jahrhundertealten Kirchen, Klöstern und Moscheen und seit einigen Jahren auch von einer Mauer. Die Absperrung entlang der Grenzlinie zwischen Israel und dem Westjordanland wurde als Schutz vor Terroranschlägen errichtet, bei Bethlehem ist sie rund acht Meter hoch. „Das ist drei Minuten von uns entfernt“, erklärt George. „Wenn wir nach Israel wollen, gibt es zu bestimmten Gelegenheiten einen speziellen Pass für uns.“

Es sei, sagt der junge Mann, für Palästinenser – anders als für Touristen – eine schwierige und zeitaufwändige Prozedur, den Kontrollpunkt zu passieren. Jerusalem liegt von Bethlehem nicht einmal zehn Kilometer entfernt – Luftlinie.

Für George ist ein Besuch in der Metropole etwas Außergewöhnliches. „Vor einem halben Jahr war ich mit Freunden in Jerusalem. Wir haben uns kurz getrennt und ich habe in der Fußgängerzone auf sie gewartet, als zwei berittene Polizisten zu mir kamen. Ich musste zu einer Mauer gehen und sie haben mich durchsucht. Dann haben sie meinen Ausweis genommen und beim Checkpoint angerufen. Nach zehn Minuten bekam ich alles zurück und konnte gehen. Einfach so.“

Mit Vorurteilen konfrontiert

Beunruhigen George solche Erlebnisse? Er nimmt sich Zeit für eine Antwort und berichtet dann von Freunden, die in den USA zu Besuch waren und dort irgendwann nicht mehr erwähnt haben, dass sie aus Bethlehem stammen. „Natürlich haben sie sich nicht für ihre Herkunft geschämt“, macht der 24-Jährige klar. „Aber sie haben befürchtet, dass sie mit Vorurteilen konfrontiert werden.“

Jeans, Sneaker, Sweatshirt – George sieht aus wie unzählige andere junge Männer irgendwo auf der Welt. Wenn er erzählt, wird freilich schnell klar, was sein Leben von anderen unterscheidet. Da ist zum Beispiel die Geschichte von der Rakete, die – er erinnert sich genau – vor exakt zwei Jahren und drei Monaten morgens um acht Uhr ins Nachbarhaus einschlug. „Glücklicherweise haben alle überlebt. Aber es war ein großer Schock.“ Es sei „ein Racheakt“ gewesen, der auf Israel gezielt und gegen die Siedlungspolitik gerichtet gewesen sei. Damals, also 2014, sei die Situation „besonders schlimm gewesen“. Inzwischen habe es sich beruhigt.

George hat eine katholische Schule in Bethlehem besucht und einen Abschluss als Elektroniker gemacht. Er arbeitet derzeit als Nachtportier in einem Pilgerhotel, dort lernte ihn Dekan André Hermany während einer Reise kennen. Die beiden kamen ins Gespräch, und der Pfarrer lud ihn spontan nach Cadolzburg ins Pfarrhaus ein. Seit Anfang November ist der junge Palästinenser nun dort. Sein erster Eindruck von Deutschland? „Hier ist alles so groß und grün und es gibt so viel Natur.“ Und natürlich seien hier „keine Kontrollstationen und keine Probleme mit wilden Leuten“. Wen meint er damit? George bleibt vage, versichert aber: „Wo ich herkomme, gibt es Menschen, die sind unzivilisiert und lernen nichts.“

Angst mache ihm das nicht: „Ich weiß, wie ich mit denen umgehen muss. Bei der Arbeit im Hotel habe ich Menschenkenntnis gewonnen. Aber grundsätzlich treffe ich nicht auf solche Leute. Sie sind nicht da, wo ich hingehe.“ Eine letzte Frage ist noch offen. Wie feiert er in Bethlehem denn Weihnachten? „Wir gehen in die Kirche und in der Familie wird ein großes traditionelles Festmenü aufgetischt, auch bei uns gibt es zum Beispiel Plätzchen. Nach dem Essen mit den Eltern gehe ich zu einer Party bei Freunden und dann wird gefeiert.“

Und plötzlich ist Bethlehem dann doch ganz nah . . .

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