Carmen, hab Erbarmen!

24.7.2018, 20:10 Uhr
Carmen, hab Erbarmen!

© Foto: Thomas Scherer

"Komm in den totgesagten Park und schau, wie der Bär steppt, wie er rappelt, tobt und rapt", könnte man frei nach Stefan George deklamieren. Denn der bedeckte Himmel tauchte den Zimmermannspark am Sonntag zu vorgerückter Stunde in eine eigentümliche, gar nicht so hochsommerliche Atmosphäre, in der die Schatten der von Efeu umrankten Bäume und das dunkle Grün der Laubtunnel noch an Intensität gewannen.

Den temperamentvollen Kontrast dazu setzte die Musik der Nürnberger Symphoniker unter ihrem jungen Dirigenten Johannes Braun. Der 1. Kapellmeister am Landestheater Coburg hatte ein erstaunlich homogenes Programm zusammengestellt. Nämlich vorwiegend französische Opernmusik aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die französische Romantik der Grande Opéra hat es ihm angetan, mit ihrem Auftrumpfen und ihren überraschend lyrischen Momenten.

Solch Homogenität war nicht immer gegeben. In ewiger Erinnerung bleibt die einige Jahre zurückliegende Eröffnung eines Open-Air-Konzerts in Nürnberg mit Mozarts "Zauberflöte"-Ouvertüre, gefolgt von den ersten Takten aus Orffs "Carmina Burana". Das ist, als ob auf Cat Stevens Black Sabbath folge.

Nein, solche Wechselbäder sind Johannes Brauns Sache nicht. Den idealen Einstieg findet er mit einer überaus spritzigen Interpretation von Rezniceks "Donna Diana"-Ouvertüre. Dem folgt die erste Überraschung des Abends, nämlich die selten gehörte Suite aus Léo Delibes’ Ballett "Sylvia", mit einem triumphalen Motiv der Hörner, das gewaltig an Richard Strauss’ "Don Juan" erinnert. Mit dem kleinen Unterschied, dass "Sylvia" 1876 erstmals erklang, als Strauss gerade mal zwölf Jahre alt war. Leiser, aber nicht minder beeindruckend nimmt sich die Pizzicato-Einlage der Violinen aus, bei der man die armen Nymphen direkt auf Spitze trippeln sieht.

Dreimal darf die Solovioline glänzen, konzertiert Konzertmeister Maxim Kosinov mit dem Orchester. Einmal mit der Introduction und dem feurigen Rondo Capriccioso aus dem Violinkonzert, das Camille Saint-Saëns eigens für den Virtuosen Pablo de Sarasate geschrieben hatte; sodann mit der Carmen-Fantasie, die Sarasate selbst aus den Themen von Bizets Oper zusammengestellt hatte — unter besonderer Berücksichtigung seines Instruments natürlich. Dabei entlockt Kosinov der Violine höchste Singtöne und treibt den ohnehin schon mächtigen Furor der Vorlage noch auf die Spitze.

Entspannung gibt es zum Abschluss bei der innigen "Meditation", einer Zwischenakt-Musik, die Jules Massenet für seine Oper "Thaïs" eingebaut hat. Ja, bei diesen elegisch- sehnsüchtigen Klängen zerfließt das Publikum auf den Bierbänken, Campingstühlen und Decken dahin. Nie klangen Buße und Reue aufreizender, denn was kaum jemand weiß: Diese Musik drückt Thaïs’ Wandlung von der Hure zur Heiligen aus. Oder ist ihr Entschluss doch nicht so ganz endgültig?

Noch eine Überraschung zaubert der mit Verve dirigierende Johannes Braun hervor, die Ouvertüre einer Piratenoper namens "Zampa" des Elsässers Ferdinand Hérold. Ein Name, der nur in Frankreich geläufig ist. Den Ohrenschmaus hollywoodscher Bibelschinken vorwegnehmend, versetzt uns das Bacchanal aus Saint-Saëns’ Oper "Samson et Dalila" in ein akustisches Breitwand-Technicolor-Spektakel. Die Barcarole aus Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" wiederum wiegt das Publikum mit ihrem betörenden Geschunkel in trügerische Sicherheit, bis der Triumphmarsch aus Giuseppe Verdis "Aida" den Abend krönt.

Als Zugabe gibt es noch Gassenhauer aus dem Filmatelier: den Marsch aus der "Brücke am Kwai", einen Tango aus "Der Duft der Frauen", sowie ein Instrumentalstück von Leroy Anderson, "Belle of the Ball". Stehende Ovationen der rund 3000 Zuhörer, strahlende Gesichter, feuchte Augen und trocken gebliebene Sitzflächen. Bis zum nächsten Mal!

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