Das Grauen des Schützengrabens in der Stadtbibliothek

22.4.2014, 06:00 Uhr
Das Grauen des Schützengrabens in der Stadtbibliothek

© Peter Romir

Der Beginn des Ersten Weltkrieges vor hundert Jahren ist vermutlich das traurigste Jubiläum, dem heuer gedacht wird. Selbst in der heimeligen Atmosphäre der Oberasbacher Stadtbücherei spürt man immer noch etwas von dem Grauen, das die jungen Soldaten 1914 empfunden haben müssen, als sie „für‘s Vaterland“ in die Schützengräben Frankreichs zogen.

Ulrike Bergmann liest aus den Feldpostbriefen. Ihre Stimme ist ruhig, ihr Vortrag ohne Effekthascherei. Das ist auch nicht nötig, denn aus den ergreifenden Zeilen der jungen Männer spricht Heimweh und Sorge in reichlichem Maß: „Nichts konnte unsere Liebe je zerstören“, schreibt ein Bataillonsarzt kurz nach Kriegsbeginn an seine Frau: „Außer dieser Wahnwitz, der nun vor uns liegt. Nun sind alle unsere Zukunftspläne aus.“

Erstaunlich auf den heutigen Hörer wirkt, wie sehr die Männer ihre Gefühle offenlegen. Selbst das Schreiben eines Offiziers, der einer Mutter den Tod ihres Sohnes mitteilen muss, besteht nicht aus offiziellen Phrasen, sondern drückt tief empfundene Trauer aus.

Im Kontrast zu diesen Impressionen stehen „Lieder vom Krieg“, die größtenteils schon erheblich älter sind. Bergmann, eine ausgesprochene Kennerin alter, volkstümlicher Musik, hat hier keine ideologischen Barrieren aufgestellt. Bei den zwölf Liedern, die sie zur Drehleier vorträgt, sind auch einige patriotische Erbauungssongs dabei, die den Kriegsdienst als Heldentat feiern.

Besonders bizarr wirkt das Lied „Lustig ist‘s Soldatenleben“, das in der Biedermeierzeit für Schüler der ersten und zweiten Klasse auf dem Lehrplan stand. Da geht es noch um fröhliche Vaterlandsverteidiger, die mit Säbel und Gewehr losziehen um „für Gott und das Bayernreich“ zu streiten.

Verlogene Militärromantik

1914 war diese — damals schon verlogene — Militärromantik endgültig dahin: „Das Beschossenwerden ist nicht mal das Schlimmste, daran gewöhnt man sich“, schreibt etwa ein Berliner Medizinstudent nach Hause. „Der ständige Regen und der Hunger sind unsere schlimmsten Feinde“. Wie krank das Leben in den Behelfsbarracken und den Schützengräben macht, ist immer wieder Thema der Briefe, die erstaunlich offen die Defizite der Kriegsführung darlegen: „Wir liegen im Winter im Dreck und Wasserlöchern. Ohne Stiefel. Gewehre und Granaten schießen uns eine schreckliche Weihnachtsmusik.“

Als Kontrast dazu dichteten sich manche Soldaten eigene Lieder, wie „Argonnerwald um Mitternacht“ in der deutsche Pioniere ihre düstere Lage ins trotzig-heldenhafte heben: „Der Sturm bricht los, die Mine kracht. Der Pionier gleich vorwärts macht. Bis an den Feind macht er sich ran und zündet dann die Handgranate an.“

Solch gleichsam unbeholfene und markig-verzweifelte Männerlyrik mit zarter Frauenstimme vorgetragen zu bekommen hat einen hohen Gänsehautfaktor. Andere Lieder, die hier im Programm sind, durfte ein Soldat damals nicht einmal pfeifen. Etwa die traurigen Heimweh-Melodien von Friedrich Silcher („Muss I denn zum Städtele hinaus...“).

Insgesamt ein stimmiger Abend, der mit der Drehleier auch ein passendes Instrument gefunden hat. Einerseits, weil sie als „Geige des armen Mannes“ den Jedermann-Charakter der Soldaten aus den Briefen wieder aufnimmt, andererseits, weil ihr klagender, monotoner Ton die Zuhörer direkt hineinwirft in diese gruselige Welt des Ersten Weltkriegs.

So entsteht eine besinnlich-traurige Feierstunde fast meditativen Charakters, die erst nach dem letzten Lied durch langen und freundlichen Applaus aufgelöst wird.

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