Das Leben ist kein Trallala

7.6.2011, 00:00 Uhr
Das Leben ist kein Trallala

© De Geare

Gepflegte Reihenhäuschen, Vorgärten, die Kinder kommen aus dem Nokia Gymnasium, das die besten Abiturienten Deutschlands ausstößt. Der Himmel ist blau an diesem Dienstagvormittag, und die Sonne scheint, als würde sie Geld dafür bekommen. Auf den Mittelklassewagen kleben die Namen bekannter Firmen – Emirates Airlines, Lidl, Nestlé; auf einem Fiat ist sogar ein Mercedesstern angebracht. Von Häuserwänden, Hochdruckreinigern und Komposthaufen lacht das Logo eines zuckerhaltigen Koffeingetränks. Selbstklebende Zettel kleben selbst an Sonnenblumen: „Genial einfach, einfach genial!“, „Gratisurlaub zu gewinnen!“ steht darauf. Das Nest hieß einst Unterschlausheim. Infolge eines erfolgreichen Bürgerbegehrens heißt es neuerdings Aral.

Ich bin verabredet mit der Aralerin Frau Kitzinger. „Come in and find out“ steht auf dem flauschigen Abtreter vor ihrer Tür, ein Geschenk des Parfümherstellers am Orte, bei dem Frau Kitzinger einen austauschbaren Job in der Produktion erhalten hat.

Ich werde in das gemütliche Wohnzimmer gebeten, über welches ich mich anerkennend äußere. Frau Kitzinger ist erfreut: „Wohnst du noch oder lebst du schon – das habe ich zu meinem Credo gemacht. Das hat mir schon viele Treuepunkte für manches Billy-Regal eingebracht.“ Dann ruft sie: „Easy-Credit, Allianz – essen!“

„Moment noch, Mama, wir lesen gerade den Newsletter von O2. Bei einer Verweildauer von 2 Minuten bekommen wir 2 Cent aufs Girokonto“, schallt es aus dem Nebenraum.

Frau Kitzinger lächelt. Sie ist stolz auf ihre Kleinen. „Natürlich hätte ich ihnen auch andere Vornamen geben können. Aber Volker und Sieglinde – damit hätte ich ihnen doch jede Karriere verbaut.“

Easy-Credit und Allianz erscheinen. Sie präsentieren stolz ihre T-Shirts. Die Commerzbank hat einen Spruch darauf gedruckt: „Wer dieses T-Shirt ein Jahr lang trägt, erhält eine Treueprämie von 50 Euro!“ Frau Kitzinger bemerkt meinen verdutzten Blick und beruhigt mich: »Natürlich ist es erlaubt, das T-Shirt einmal wöchentlich zu waschen. So lange es trocknet, trägt Easy-Credit eine Kapuzenjacke mit der Aufschrift ‚Dein Arbeitsplatz – die Bundeswehr‘. Dafür kriegt er zwar nichts, aber muss nur drei Monate nach Afghanistan.

Bei Kitzingers gibt es Königsberger Klopse. Frau Kitzinger bringt eine dampfende Schüssel ins Wohnzimmer. Jeder Klops trägt das Logo einer Fluggesellschaft. Bis einschließlich Freitag gibt es nämlich Flüge nach Sarajevo für einen Cent. „Die schicken uns jeden Montag das aktuelle Angebot“, klärt mich die Mutter auf.

Wir essen schweigend. Vieles geht mir durch den Kopf: Die Verführung des Marktes ist riesengroß. Sie dringt ein ins Privatleben. Mit Fußballstadien hat alles angefangen. Danach wurde die Semper Oper in Pampers Oper, das Brandenburger Tor in »Tor der Brandenburgischen Feuersozietät«, die Münchner Frauenkirche in o.b.-Kathedrale umgetauft, und der Hamburger Michel hieß fortan Telekom.

Natürlich gab es einen Aufschrei in der Presse, damals. Heute hat man sich daran gewöhnt, dass etwas erwirtschaftet werden muss in einer Gesellschaft, die funktionieren will. Das Leben sei kein Trallala, bestätigen Easy Credit und Allianz, als hätten sie meine Gedanken gelesen, und packen sich Klopse auf ihre Teller, gesponsert von RyanAir und ihren Partnern im In- und Ausland.

Der Nachmittag gehört den Kindern und ihren Schulkameraden Münchner-Rück, AutoScout24.de, Kentucky Fried Chicken und eBay (der sich ärgert, weil sein Name nicht mehr so hoch im Kurs steht). Die aufgeweckten Teenager werden vom Vertreter einer Zigarettenfirma erwartet. Jeder, der Namen und Adressen von fünf Rauchern mitbringt, erhält fünf Euro. „Freiwilliger Nachmittagsunterricht“, strahlt Frau Kitzinger, „eine Kooperation zwischen Philipp Morris und Nokia.“

Meine Gastgeberin setzt Kaffee auf. „Halten Sie den Kapitalismus für einen Fluch oder einen Segen?“ möchte ich von ihr wissen. „Ich liebe ihn!“, trällert sie anstelle einer Antwort. Der Jingle ist auf unzähligen Garagen in Aral gedruckt; er steht auf Bannern in Vorgärten und klebt an Schornsteinen. Frau Kitzinger grinst: „75 Euro im Jahr, wenn ich einmal am Tag diesen Spruch gebrauche. Außerdem 25 Prozent auf alles, außer Tiernahrung“.

Während ich meinen Wagen suche, denke ich darüber nach, welche Möglichkeiten wir doch im Westen haben. „In Deutschland“ hat mein Vater immer gesagt, „liegt das Geld auf der Straße“.

Doch woran liegt es nur, dass ich mich übergeben möchte? Brechreiz, gesponsert von …