Der Club der Stickerinnen

16.7.2004, 00:00 Uhr
Der Club der Stickerinnen

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Man kennt sich. Im engen Flur des Mesnerhauses drücken und herzen sich die Damen zur Begrüßung. Einmal im Jahr wird Großhabersdorf zum Mekka derer, die sich die Freiheit nehmen, sich mit etwas absolut Unrentablem zu beschäftigen. Zur „Landpartie“ kommen Kreuzstich-Stickerinnen aus ganz Franken, dank Internet-Kontakten sogar vereinzelt aus der ganzen Republik, Italien oder Frankreich.

Doch im Wesentlichen ist es der Kundenkreis der „Stick-Wiese“ in der Klosterstraße Langenzenns. Anita Wieser bietet dort seit elf Jahren an drei Tagen in der Woche, was teure Ladenmieten längst aus den Großstädten verdrängt haben. Das umsatzschwache Kurzwaren-Sortiment hat sich aufs Land verlagert. Die Kreuzstich-Fans wissen, wo sie kriegen, was sie brauchen — und nehmen weite Wege in Kauf.

Idealismus im Laden

Beispielsweise zur Stick-Wiese in Langenzenn: Mehr aus Idealismus, denn aus Geschäftstüchtigkeit werde der Laden betrieben, bescheinigt Kundin Hannelore Hein der Inhaberin. „Bevor mir Frau Wieser wegen ein paar Stichen 20 Meter Garn verkauft, sagt sie, schau’ns lieber nochmal nach, vielleicht haben Sie die Farbe ja doch daheim. Wer macht so was schon?“, fragt die Langenzennerin und setzt ihr noch unfertiges Deckchen mit dem gelben Rosenkranz als Farbtupfer auf einen Stuhl zwischen den Rot- und Rosatönen im Rosenzimmer in Szene. Leben, sagt Wieser, könnte sie nicht von ihrem Laden. Aber der Gatte ist Ingenieur, so reicht’s.

Einmal im Jahr organisiert die Garnhändlerin Wieser mit einer Hand voll Kundinnen, die längst gute Freundinnen wurden, eine Werkschau in Großhabersdorf. Heinzelmännchen nennt sie ihre Helfer, und sie berichtet im Plural über die wochenlangen Vorbereitungen der Ausstellung: Ihr „Wir“ meint einen Club emsiger Stickerinnen. Die Freude an der Handarbeit verbindet.

„Sticken“, meint Iris Strattner, „ist eine Sucht.“ Frauen wie sie brauchen’s wie andere Yoga oder das tägliche Joggen. Morgens nach dem Aufwachen, erzählt die Frühaufsteherin Wieser, setzt sie sich erst mal eine Stunde hin und nimmt Nadel, buntes Garn und Stoff zur Hand. Das Abzählen der kleinen Kästchen auf den Papiervorlagen fordert volle Konzentration, das räumt den Kopf leer. „Das ist für mich wie Meditation.“

Rustikales Ambiente

Vor drei Jahren sind die Stickerinnen aufs Mesnerhaus gestoßen. Der Heimatverein sammelt hier seine Schätze. Ansonsten wird das Haus kaum genutzt. Den Stickerinnen bietet es ein optimales Ambiente: ausgetretene Bodendielen, Fachwerk, Holztüren, rustikale Wandvertäfelungen und Sprossenfenster, das passende Flair für eine detailverliebte Inszenierung der Kreuzstich-Arbeiten im Landhausstil.

Lauter kleine Kunsthandwerke sind zu sehen. Stickerinnen, sagt Anita Wieser, lieben Blumen und Pflanzen, das ist ihr Hauptthema. Im Mesnerhaus konzentrierten sich die Damen heuer auf Motive, die in der Werkstatt der Dänischen Handelsgilde entworfen wurden.

1928 gründete sich der Verein, um alte Textiltraditionen zu bewahren. Unter dem Markennamen Haandarbejdets Fremme vertreibt er weltweit Garne und Stickvorlagen. Die vereinfachten Stilisierungen der Designerin Gerda Bengtsson sind Klassiker im Programm: Tier- und Blumenmotive, mit denen Stickerinnen in der ganzen Welt Wohnaccessoires im Landhausstil gestalten. Aber auch modernere, eher grafisch orientierte und abstrahierende Linien kommen mittlerweile aus der dänischen Muster-Schmiede. Gestickt wird auf reinweiß gebleichtem oder naturbelassenem Leinen und nach Zählvorlagen auf Papier, die oft ein größeres Format haben, als das fertige Motiv auf dem fein gewebten Stickgrund. Selbst schwindendes Augenlicht ist nach Einschätzung Wiesers kein Hindernis. Bei ganz feinen Techniken müsse selbst jemand mit Adleraugen zur Lupe greifen. „Sticken“, sagt Anita Wieser, „ist keine Kunst, sondern eine Frage der Geduld.“ Für eine Fläche, so groß wie ein Zwei-Euro-Stück, braucht selbst

die Geübte Stickerin mindestens eine Stunde.

Lohn der Mühe

Für die Schublade arbeitet keine passionierte Stickerin. Wer Abende damit verbringt, eine Decke oder einen Läufer mühevoll zu zieren, will vor Augen haben, was er vollbrachte. Manche der Frauen haben schon so viel gestickt, dass sie die Wohnung sogar den Jahreszeiten angepasst ausstaffieren können.

Und eine Kundin hat Anita Wieser, hochbetagt, die stickt immer nur über einen Faden, selbst auf feinstem Linnen. Weil sie in ihrer kleinen Wohnung gar nicht unterbringen könnte, was sie in groberer Machart produzieren würde. Da ist der einzelne Stich dann keinen Millimeter lang. Selbst bei der großen Tischdecke mit 20 Rosenarrangements rundum. Hannelore Hein betrachtet die Arbeit fasziniert. „In zehn Jahren würd’ ich das nicht schaffen“, meint sie.

Von wegen nur für alte Omas: Nicht mehr als ein Vorurteil sei das, geben sich Anita Wieser und Iris Strattner überzeugt. Sicher, die meisten Stickerinnen seien 40 Jahre und älter, Hausfrauen großteils, die zu Nadel und Faden greifen, um in der Litanei der immer gleichen Hausarbeiten, die nie ein Ende nehmen wollen, sichtbare Erfolge zu erleben. Doch immer wieder mal finden sich auch Männer im Kundenkreis. Und zusehends können sich Jüngere Anita Wiesers Beobachtungen zufolge für die Handarbeit begeistern.

Entspannung am Abend

Beispielsweise Melanie Erhardt. Nach einem langen Arbeitstag am Computer findet die 23-jährige Oberasbacherin Ablenkung und Entspannung bei Nadel und Garn. Und hat sich schon manche Spöttelei im Kollegenkreis dafür eingehandelt. „Wenn ich jemanden neu kennen lerne, verrate ich natürlich nicht gleich, dass ich sticke.“ Das Klischee des Altbackenen hafte der Handarbeit eben doch hartnäckig an. Aber immer noch besser, als wenn sie sagen müsste, sie spinne, bestätigt sie lachend.