Der "Postillon" aus Fürth sahnte in Köln ordentlich ab

25.6.2013, 14:05 Uhr
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Als die Schauspielerin und Komikerin Carolin Kebekus bei der Verleihung des Grimme Online Awards den Umschlag mit dem Gewinner in der Kategorie "Information" öffnete, musste sie kurz lachen. Und da ahnte Stefan Sichermann, dass er gleich auf die Bühne muss.

Denn "Information" und "Der Postillon" passen erst auf den zweiten Blick zueinander. Auf seiner Webseite verkündet der gebürtige Ansbacher Nachrichten wie die, dass die EU das Problem der Jugendarbeitslosigkeit dadurch bekämpft, dass sie wartet, bis die Betroffenen alt sind.

Vor fünf Jahren fing Stefan Sichermann damit an, Schlagzeilen zu verdrehen. Wenn damals einhundert Menschen auf seine Seite klickten, war das gut. Der 32-Jährige hat hart gearbeitet. Denn heute sind es 100.000. Täglich. Auf Facebook hat "Der Postillon" mehr als 142.000 "Gefällt mir"-Angaben. Damit erreicht Sichermann mehr Leser, als das eine Tageszeitung schafft. Kein Wunder also, wenn auch das renommierte Grimme Institut auf ihn aufmerksam geworden ist. Im Mai wurde seine Satire-Seite für den Online Award nominiert. Allein das war schon ein Ereignis, denn auf der Liste der Vorschläge standen insgesamt 1600 Bewerber, von denen nur 28 eine Runde weiterkamen.

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Dass Sichermann am Abend der Preisverleihung dann auch noch auf die Bühne gerufen wurde, hat ihn völlig überrascht. Zum Glück, sagt er, musste er keine Rede halten. „Markus Kavka hat den Abend moderiert und jedem zwei, drei Fragen gestellt", so Sichermann. An seine kann er sich allerdings schon gar nicht mehr richtig erinnern. „Für einen Normalsterblichen war diese Veranstaltung ganz schön anstrengend. Da sind 200 Leute, die dich jetzt kennen, weil du vorhin auf der Bühne warst. Umgekehrt kannte ich aber kaum jemanden."

Mit der Trophäe in der Hand wähnte sich Sichermann übrigens in Sicherheit. Da hatte er aber noch nicht mit dem Publikumspreis gerechnet, den er auch noch bekam.

Dass sich plötzlich so viele für ihn interessieren, ist Sichermann unangenehm. Anfragen von Journalisten beantwortet er nur zögernd, und eigentlich würde er viel lieber einfach nur seinen Job machen. In seiner Ein-Mann-Redaktion mitten in der Fürther Altstadt setzt er sich in der Früh an den Computer und klickt sich durch zig Online-Portale und Blogs — immer auf der Suche nach der Meldung, die er für seine Seite zerpflücken kann.

Schon beim Lesen, sagt er, gehe der Denkprozess los und die Suche nach dem richtigen Dreh. In der Regel verfasst Sichermann eine "Postillon"-Nachricht am Tag und garniert diese noch mit kleineren Meldungen für den Newsticker. Anregungen dafür bekommt er längst von seinen angestammten Lesern.

Das klingt nach einem kurzen Arbeitstag. Aber das Schreiben zieht sich, selbst für jemanden, der bei fast 2000 verfassten Nachrichten ist.

Nur manchmal ist er sich unsicher, ob er den Bogen nicht überspannt hat. „Ich erinnere mich an meine Meldung, dass nach dem Tod von Steve Jobbs Technikjournalisten und Fanboys über das Design und die Farben vom Sarg des Apple-Chefs spekulierten.“ Bevor Sichermann den Text veröffentlichte, bat er seine Freundin und Kollegen um eine Meinung. Zwei waren gegen, drei für die Meldung.
Sichermann hat sie am Ende publiziert — und heftige Kritik von den Lesern geerntet. „An diesem Tag habe ich 102 Fans auf Facebook verloren." Und 700 Neue dazugewonnen.
 

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