Die aus der Stille kamen

14.1.2019, 12:15 Uhr
Die aus der Stille kamen

© F.: Hans-Joachim Winckler

Je mehr Rasanz, Hektik und Effizienzprogramme den Alltag bestimmen, desto stärker wächst das Bedürfnis nach Entschleunigung. Ein Trendthema. Die sechs Sängerinnen und Sänger der 1996 gegründeten, weltweit tourenden Nordic Voices sowie Nils Petter Molvær, einer der führenden norwegischen Jazztrompeter, Komponisten und Produzenten, kreierten mit "Still in Silence" ein ganz besonderes Ruhepol-Konzertprogramm.

In ihrer nordischen Klarheit und motivischen Eindringlichkeit erinnert diese Musik an Saxofonist und Landsmann Jan Garbarek, der ebenfalls mit vokalen Spitzenkünstlern, nämlich dem Hilliard-Ensemble, schon vor vielen Jahren auftrat. Auch Molvær improvisiert mit dezenter Schärfe, aber trotzdem schmeichelnd, zu sechsstimmigen Gesängen aus dem zwölften bis 20. Jahrhundert.

Er beginnt solistisch, wie aus dem Nichts schwellen Töne an und verklingen, auch dem Rauschen verhauchten Trompetengemurmels gibt er Raum zum Klingen. Frauenstimmen mischen sich mit einfachen Intervallen ein, Vokalisen verändern sich zu Textbruchstücken, aus denen das gregorianische "Predicasti" eines anonymen Komponisten erwächst. 800 Jahre Musikgeschichte wirken danach wie ein Fußbreit, wenn die fabelhaften Vokalisten in Arvo Pärts Magnificat die polyphonen Wurzeln dieser zeitgenössischen Musik herausschälen und dessen Vision der Kraft einer einzigen Note mit Momenten der Stille kontrastieren.

In seiner Eigenkomposition "Song of Grief" umreißt Molvær die Bandbreite von Tönungen und Klangkolorit, Trompetenschimmer und Schattierungen, dem ein klares, von den Frauenstimmen geprägtes mittelalterliches Alleluia folgt. Ein Hauch der Weihnachtszeit durchweht die traumhaft zart ausgehorchte Motette "O Magnum Mysterium" des Franzosen Françis Poulenc, der 1952 ein klösterliches Stundengebet mit französischem Charme in ein neoklassizistisches Klanggewand hüllte.

Frank Havrøy, Bariton der Nordic Voices, lässt nordische Weihnacht anklingen in seiner Bearbeitung von "Mitt hjerte alltid vanker", dessen erste Strophe er selbst fast zu strahlend vorträgt; wunderbar pastellfarben Tone Braatens Sopranpart im zweiten Vers, dem das Ensemble eine schlichte klassische dritte Strophe folgen lässt. Ein Presto wäre in diesem faszinierend sphärischen Soundgewand ein irritierender Fremdkörper.

Für den titelgebenden Schluss "Still in Silence" verlassen die Sängerinnen und Sänger das Podium, verteilen sich im Saal, vergrößern dazu auch den Klangraum durch die Magie zwischen obertonreichem Kehlkopfgesang und tiefstem Bass-Fundament. Das entfaltet eine unnachahmliche Wirkung, gemischt mit expressivem Trompetenspiel; den spirituellen Eindruck untermalen sie durch schrittweises Löschen der Screenbeleuchtung ihrer Noten-Tablets.

"Wie viel Stille verträgt der Mensch unserer Zeit?" Diese Frage hatte "Passagen"-Programmchefin Ursula Adamski-Störmer eingangs gestellt. Dem atemberaubend leise verklingenden Schluss hochten die konzentrierten Zuhörer jedenfalls lange nach.

ZDen Mitschnitt des Konzerts sendet BR-Klassik am 28. Februar um 20.05 Uhr.

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