Die Grenzen in uns

24.1.2017, 18:20 Uhr
Die Grenzen in uns

© Foto: Budig

„Ohne Vorgabe“, fokussiert auf die „Suche nach dem ureigenen Ausdruck“ sei die Aufgabe für die nun ausgestellten Abschlussarbeiten gewesen, so Markus Kronberger, Leiter eines Teams von Kunstlehrern dieser Meisterklasse. Plakativ, auffallend und für starke Gefühle zuständig sind die Werke Christine von Tuchers. Sie hat sich den Eindrücken hingegeben, die die Bilder der Flüchtlingsströme im vergangenen Jahr auslösten. Großformatige, fast fotorealistische Zeichnungen zeigen hilflos gebückte Menschen auf der Flucht, in der Masse, riesig aufragend, manche trostlos, andere mächtig und einschüchternd.

Einige Bildbahnen bilden eine Landschaft auf dem Boden des Ausstellungsraumes: Zu Bögen gespannt, begegnen sie wie unverhofft dem Betrachter, der nicht ausweichen kann. „Angekommen? – wohin?“ lautet der Titel dieser Bilderbögen und führt zur Frage, die die Künstlerin umtreibt: „In der Flüchtlingspolitik hat die große Mehrheit der Deutschen den Glauben an ein gemeinsames Vorgehen verloren. Wir müssen lernen, mit den Grenzen in uns besser umzugehen.“

Im gleichen Raum verfolgt Hartmut Natterer sein malerisches Bühnenkonzept. Er hängt transparente Glas- oder Acrylflächen in gleichem Abstand gestaffelt hintereinander. Die Farbfiguren sind durch den Einsatz von Farblappen entstanden, absichtsvoll darf der Zufall Regie führen, welche unterschiedlichen Eindrücke beim Umrunden der Bildskulptur entstehen. Ein freier Tanz vieldeutiger Symbole.

„In diesen Zeiten hat es die Kunst schwer“, seufzte Akademieleiter Uli Rothfuss zu Beginn der Abschlussfeier. Die lauten Töne herrschten vor, und dann ist noch das Lutherjahr. „Im Anfang war das Wort“, heißt es am Beginn des Johannes-Evangeliums, Luther hat seine Revolution mit Wort und Schriftzitat vorangetrieben. Der Seufzer wird beim Lehrer und Kurator Kronberger zum realistischen Ratgeber: Während einerseits die Nullzinsjahre zu einer astronomischen Steigerung der Kunstpreise für die Stars führten (2016 wurde „Die Frauen von Algier“, ein Picasso aus dem Jahr 1955 für 179,3 Millionen Dollar versteigert), könnten nur zwei Prozent der bildenden Künstler von ihrer Arbeit leben. „Talent und Genie haben nichts mit dem Einkommen zu tun“, tröstet und warnt Kronberger die Absolventen.

Für solche pragmatischen Hinweise ist Erika Lindner aus Oberasbach offen. Für ihr großformatiges Werk aus acht mal acht Quadraten wünscht sie sich einen Käufer, „vielleicht einen Hotelbesitzer oder jemand, dessen Firmengebäude ein Foyer hat“ — einfach, damit ihre durch schiere Größe stigmatisierte Arbeit einen Ort findet, wo sie zur Geltung kommt. Dem Entstehungskonzept ihres Werks liegt eine spannende geometrische Rechenlösung zu Grunde: In jedem Quadrat sind dieselben zehn geometrischen Formen unterschiedlich angeordnet. Ein jedes ist ein Einzelstück. In Farbvalenzen von Zitronengelb bis Dunkelmagenta wird jeder Grundton reihenweise abgedunkelt und wieder aufgehellt.

Eine faszinierende Arbeit präsentiert der gelernte Ofenbauer und Träger des bayerischen Staatspreises des Handwerks John Schmitz. Auch seine Bilder erscheinen im Großformat, doch die Farbigkeit ist stark reduziert. Sie erinnern an musikalische Kompositionen von Philipp Glass, der ein Thema mit fortschreitender Dauer nur minimal, dann aber bedeutsam verändert. Zugrunde liegen den Mustern Schmitz’ winzige Doppel-Achten. Nicht allein die Wirkung, auch das künstlerische Schaffen an sich, die ständige, ruhige Wiederholung der winzigen Zeichen zu fortlaufenden Mustern sind zum Lebenselixier des Chiemgauers geworden: „Jeden Tag ein Blatt, seit dem 1.9.2015“, sagt er lächelnd und deutet auf die Wand: „Je mehr man sich zurücknimmt, desto näher kommt man der Unendlichkeit.“

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