„Die Narben sind beträchtlich“

16.3.2012, 22:00 Uhr
„Die Narben sind beträchtlich“

© Günter Distler

„An den Rändern der Gesellschaft kommen wieder extreme Gedanken auf, denen müssen wir entgegentreten.“ Rainer Erhardt, Schulleiter des Helene-Lange-Gymnasiums (HLG), ließ zu Beginn der Veranstaltung keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Woche der Brüderlichkeit auch sechzig Jahre, nachdem sie ins Leben gerufen wurde, eine bedeutende Aufgabe erfüllen muss.

Ein Punkt, den auch Oberbürgermeister Thomas Jung als Schirmherr in Fürth aufgriff: „Es geht heute nicht um abstrakte Gedanken, denn nur wenige hundert Meter von hier entfernt wurden vor kurzem in einem Laden die Scheiben eingeworfen und der Wagen von Mitbürgern, die sich gegen Neonazis engagieren, in Brand gesetzt.“ Jung appellierte, dass solche Taten nicht ignoriert werden dürften: „Wir sind der uneingeschränkten Solidarität mit allen Menschen verpflichtet.“

David Geballe, Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth, überlegte, ob die Woche der Brüderlichkeit ihre Aufgabe erfüllt, die seines Erachtens vor allem in der Erziehung liege. Er habe die Erfahrung gemacht, dass Schulklassen zum Beispiel nicht wissen, worum es in dieser besonderen Veranstaltungsreihe überhaupt geht. Eine besondere Brisanz, so Geballe, habe das Thema für ihn bekommen, als er einen aktuellen Beitrag des SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel auf Facebook gesehen habe. Der Politiker wirft darin Israel vor, ein Apartheid-Regime zu sein.

Der Rabbiner erklärte: „Einige Europäer verbiegen sich bis zum Geht-nicht-Mehr, um den arabischen Opfern Mitgefühl zu zeigen. Jeder liebt die palästinensischen Araber – wenn sie als Opfer von Juden wahrnehmbar sind.“

Niemand geißelt den Libanon

Aber niemand geißele den Libanon in der Uno wegen seiner ausdrücklichen Diskriminierung einer 200000 Personen großen Minderheit: „Ein beträchtlicher Prozentsatz von Leuten, die behaupten, sich um palästinensische Araber zu sorgen, sind in Wirklichkeit Antisemiten, die ihren Judenhass in den Mantel der ,Menschenrechte‘ hüllen.“ Geballe schloss seine Ausführungen mit dem Appell, die Woche der Brüderlichkeit zu nutzen, um Jugendliche zu erreichen und zu informieren: „Erarbeiten Sie neue Projekte.“

Der katholische Dekan André Hermany fasste sich in seinem Grußwort für die christlichen Dekanate Fürth kurz und gedachte der Menschen, die wegen ihres Glaubens und ihrer Sehnsucht nach Freiheit verfolgt, gefoltert und getötet werden. Zum Abschluss sprach er ein „Vaterunser“.

Antje Yael Deusel ist die erste in Deutschland geborene Jüdin nach der Schoah, die im eigenen Land zur Rabbinerin ausgebildet wurde. Die Frau, die auch als Urologin in Bamberg tätig ist, skizzierte auf sehr persönliche Weise in ihrem frei gehaltenen Vortrag ihren Lebensweg. Sie berichtete zum Beispiel vom ersten Eindruck, den sie von Israel („unsere geistige Heimat“) gewann: „In meiner Kinderzeit erschien mir dieses Land als Inbegriff des Paradieses, weil dort die Orangen auf den Bäumen wuchsen.“

Die Rabbinerin ging unter anderem darauf ein, dass auch an sie immer wieder die Aufforderung herangetragen werde, „es müsse jetzt doch mal Schluss sein mit der Aufarbeitung der Vergangenheit“. In ihrer Antwort zitierte sie ein Sprichwort: „Zeit heilt viele Wunden, aber sie ist eine miserable Kosmetikerin – und in diesem Fall sind die Narben beträchtlich.“

In Anbetracht ihres Wirkens in Bereichen, die bis heute von Männern geprägt werden, sprach sie sich anschließend für eine Frauenquote aus: „Sonst haben Frauen keine Möglichkeit zu zeigen, was sie können. Natürlich wäre es schöner ohne Quote. Aber wie bringt man’s ihnen bei...?“

Zum Abschluss ihrer vielseitigen Gedanken ging Antje Yael Deusel in der Feierstunde, die vom Instrumental-Ensemble des HLG begleitet wurde, noch einmal auf das Thema Israel ein. Sie erklärte, auf der Einladung zu dieser Veranstaltung seien Thorarollen-Aufsätze mit stilisierten Rimonim, das sind Granatäpfel, zu sehen: „Rimonim heißt auch Granate, aber ich hoffe, dass es bald für dieses Wort nur noch zwei Bedeutungen gibt und zwar für die Früchte und für solche Schmuckstücke — und für sonst nix.“

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