Ein Airbag für zwischenmenschliche Zusammenstöße

28.4.2015, 12:00 Uhr
Ein Airbag für zwischenmenschliche Zusammenstöße

© Fotos: Hans-Joachim Winckler

Haben wir unsere Manieren verlernt? Ja, versicherten drei von vier Deutschen jetzt dem Meinungsforschungsinstitut YouGov: Früher war man höflicher. Jung und Alt sind sich in dieser Einschätzung übrigens erstaunlich einig. Karin Slawuta ist Imbissverkäuferin in der Fußgängerzone und macht deutlich bessere Erfahrungen: „Ich kann mich nicht beschweren“, sagt die 63-Jährige.

„Ich bin freundlich zu den Leuten und das kommt gerade so zurück“, heißt ihre Faustregel für höfliche Umgangsformeln. „Na, ja. Gut. Es gibt schon mal welche – aber selten“, schränkt sie vorsichtig ein. Ein einziger Fall fällt ihr ein. Der liegt zwar schon eine Weile zurück, aber sie erinnert sich: „Da wollte ein Kunde fränkische Bratwürste. Die waren aber noch nicht fertig, also habe ich ihn gefragt, ob’s auch Nürnberger sein dürfen.“

Ihre Empfehlung sei nicht gut angekommen. „Er sei Fürther und esse die anderen nicht, habe ich zu hören bekommen“, wundert sie sich. Natürlich, sagt Karin Slawuta, gibt es einen Unterschied, wenn es um die Wurst geht: „Die Nürnberger sind gröber und etwas saftiger. Aber die kommen bei uns genauso wie die Fränkischen aus einer Metzgerei in Stadeln.“

Ein Airbag für zwischenmenschliche Zusammenstöße

Melanie Brüggemann ist Rezeptionistin im Fürthermare und kann auch nicht klagen: „Viele bemühen sich, man bemerkt absolut die gute Absicht.“ Die 30-Jährige findet es richtig, wenn Höflichkeit schon im Kindesalter eingeübt wird: „Das soll keine Dressur sein, aber es ist sicher eine prima Übung, damit es einem als Erwachsener leicht fällt.“ Grundpfeiler ist für sie der Respekt: „Es ist ganz wichtig, den anderen nicht niedriger einzuschätzen, als sich selbst.“ Was empfindet sie als unhöflich? „Ich komme gerade vom Joggen, deshalb fallen mir Leute ein, die ihren Hund frei laufen lassen, obwohl er nicht hört, wenn sie ihn rufen. Als Läufer fühlt man sich dann gar nicht wohl.“

Ein Airbag für zwischenmenschliche Zusammenstöße

Ganz entschieden spricht sich auch Werner Gloss gegen den Tenor der Umfrage aus: „Dem kann ich definitiv nicht zustimmen. Ich finde, Umgangsformen sind wieder im Kommen.“ Der 50-Jährige ist Polizist und arbeitet im Bereich Prävention und Jugend. Er lobt: „Die meisten Menschen gehen doch offen und freundlich auf ihre Mitmenschen zu.“ Einen gewissen Unterschied im Umgang erlebt er, sobald er Uniform trägt: „Dann sind die Leute etwas zurückhaltender und vorsichtig.“ Was Werner Gloss hierzulande besonders schätzt, ist, „dass man in der Regel nicht sofort fordernd auf Menschen zugeht und sie lauthals anspricht“. Er mag auch klassische Gesten „wie die Tür aufhalten oder mal jemandem in den Mantel helfen“.

Knicks und Diener sind out

Ein Airbag für zwischenmenschliche Zusammenstöße

Eduard Maisner findet es nicht so erstaunlich, dass 75 Prozent der Deutschen Höflichkeit vermissen: „Da ist was Wahres dran. Allerdings habe ich das Gefühl, die meisten sind weniger unhöflich als desinteressiert.“ Der 25-Jährige studiert Werkstofftechnik in Nürnberg und verrät, dass ihn die FN-Frage in der Fußgängerzone in einen kurzen Konflikt brachte, den er sehr höflich entschied: „Ich wollte erst sagen, ich hätte keine Zeit, aber dann dachte ich, stimmt doch gar nicht und bin stehen geblieben.“ Eine Freundlichkeit, die Eduard Maisner auch bei anderen schätzt: „Zuhören und den anderen nicht unterbrechen, das empfinde ich als höflich.“

Fachfrau für das Thema ist Manuela Sträßner. Die Geschäftsführerin der Tanzschule Streng ist IHK-zertifizierte Trainerin für Umgangsformen und definiert Höflichkeit so: „Das ist wie eine Art von Airbag, der hilft, einen zwischenmenschlichen Zusammenstoß zu vermeiden.“ Die Regeln freilich gehen mit der Zeit: „Handkuss, Knicks oder Diener – was bei Opa und Oma galt, ist heute manchmal überholt. Gut also, wenn man ein bisschen auf dem Laufenden bleibt.“ Grundsätzlich gelte aber, was Freiherr Knigge einst schrieb: „Interessiere dich für andere, wenn du willst, dass andere sich für dich interessieren sollen. Respektiere andere, wenn du respektiert werden willst.“ Sieht so also der beste Weg zu 100 Prozent Höflichkeit aus? Manuela Sträßner ist sich sicher: „Wer sich daran hält, der macht erst einmal nichts falsch.“

 

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