Ein bewegter Chor zum Start der Saison im Kulturforum

22.9.2015, 12:00 Uhr
Ein bewegter Chor zum Start der Saison im Kulturforum

© Foto: Wolfgang Keller

Ein Spielzeit-Start mit „Auftakt“: Die Kalauer-Götter waren in Spendierlaune. Der vor 33 Jahren gegründete Nürnberger Gewerkschaftschor heißt aber tatsächlich so, vielleicht auch, weil „Auftakt“ nicht gar so spröde vom Plakat winkt wie „Nürnberger Gewerkschaftschor“. Und wer „Auftakt“ heißt, wird was zu sagen haben, künstlerisch. Mit Ausrufezeichen und Schwung. In der Tat, die 35 Damen und Herren im Alter zwischen 35 und 75 Jahren wollten immer schon mehr als schön singen, Programme mit sozial- und gesellschaftskritischer Kante.

Was dem Ensemble allerdings in diesen Tagen widerfährt, ist alles andere als alltäglich. Die Realität hat das seit langem vorbereitete Heimat-Projekt des Chores eingeholt und in ein gleißend aktuelles Licht gerückt. Die Realität, das sind Hunderttausende auf ihrem steinigen Weg nach und durch Europa, Ertrinkende im Mittelmeer, Menschen vor Stacheldrähten, Aufbrüche, Hoffnungen, Enttäuschungen, Glück. Nein, keine Missverständnisse: „Un Beheimatet“ ist kein Abend, der sich in Dur und Moll um die Flüchtlingsfrage dreht. Gleichwohl hat das Gänsehaut-Wunderwort „Heimat“ im unvergesslichen Sommer 2015 neue Bedeutung gewonnen.

Das ahnte niemand, als im vergangenen Jahr die Idee entstand, dem Heimat-Gefühl auf den Grund zu gehen. Aber nicht in adretter Aufstellung und hinter Notenheften verschanzt, sondern mit szenischer Agilität. „Um die Flüchtlinge im Speziellen geht es nicht, das können wir in der Kunst nicht beantworten“, sagt Johannes Reichert. „Doch jeder von uns kann sich fragen, was Heimat ist. Für mich sind es meine Freunde, mein Laptop. Für andere ist Heimat, zu wissen, wo sie schlafen.“

Der viel reisende Fürther Countertenor, der unter anderem in Bogotá einen Lehrauftrag hat, übernahm „Auftakt“ vor drei Jahren von Theater-Pfütze-Chef Martin Zels. „Un Beheimatet“ setzt die Reihe der chorischen Musiktheater-Aktionen — zuletzt: „Die Monopolis Oper“ 2012 — des Ensembles fort.

Kreativer Geist

Zugleich ist der sechzigminütige Abend eine weitere Arbeit, mit der sich Reichert im Kulturforum als ästhetische Grenzen austarierender und viele Stile ausprobierender Haus-Geist etabliert. „Das Dulcinea-Projekt“ 2013 wäre zu nennen oder die KammerTanzOper „Du, Liebe?!“, die im Januar 2011 an der Maxbrücke Premiere hatte.

Über „Un Beheimatet“ sagt er: „Ich habe noch nie ein Stück gemacht, dass so von der Aktualität überrollt wurde.“ In der Choreografie von Barbara Bess — sie unterrichtet zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Musik Nürnberg — durchmisst „Auftakt“ die Große Kufo-Halle bis in den hintersten Winkel, alle Stücke von „What a wonderful world“ bis „Der Mond ist aufgegangen“ werden a-cappella gesungen, einen Dirigenten gibt es nicht. Und zum ersten Mal seit 35 Jahren steht Reichert in einem seiner Projekte nicht selber auf der Bühne.

„Für mich ist dieser Abend etwas sehr Besonderes, ohne Netz und doppelten Boden“, bekennt er. Und: „Wir machen ein klares Statement, aber ohne erhobenen Zeigefinger.“ Je aktueller das Thema geworden sei, „desto glücklicher bin ich, dass wir keine plakativen Antworten haben“. Eines jedenfalls steht für Sinn- und Heimatsucher Johannes Reichert fest: „Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Migration. Meistens sind wir alle gewandert. Und nicht immer nur aus guten Gründen.“

Erst vor wenigen Tagen übrigens musste Kufo-Programmchefin Annette Wigger mit dem Zug durch Österreich fahren. Was sie erlebte, hat sich ihr tief eingeprägt. Dann, wieder in Fürth, saß sie in einer Durchlaufprobe zu „Un Beheimatet“, das habe „unglaubliche Bilder in mir ausgelöst“. Bilder, die Wigger in der Absicht bestärken, „hin und wieder trotz unseres schmalen Etats Bürgertheater und eigene Produktionen zu machen“. Vermitteln wolle das Kufo, „dass auch Laien in der Lage sind, Gutes zu schaffen“. Die Uraufführung am Donnerstag ist so gut wie ausverkauft. Ein Auftakt wie selten einer.

„Un Beheimatet“: Uraufführung am Donnerstag, 20 Uhr, Kulturforum (Würzburger Straße 2). Weitere Termine: 25./26. September, 20./21./22. November sowie Wiederaufnahmen im Februar und April 2016. Karten zu 20/10 Euro an der Abendkasse, im Vorverkauf zu 18/14,40 Euro. 20 Prozent ZAC-Rabatt im FN-Ticket-Point (Breitscheid-Straße 19, Tel. 77 98 70).

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