Erlebnismobil der Blindenmission führte in das Thema Blindheit ein

26.10.2014, 06:00 Uhr
Erlebnismobil der Blindenmission führte in das Thema Blindheit ein

© Moritz Schulz

Inmitten dieser Welt von Menschen, die Auslagen studieren und Zeitung lesen, steht ein Lkw-Anhänger, in dem man nichts sieht. Ein weißer Quader, der sich „Erlebnismobil“ nennt und nichts mit Playmobil zu tun hat. Hier geht es um Ernsteres, als es zunächst den Anschein hat: Darum, zu wissen und zu erfahren, dass Augenlicht endlich sein kann. Und dass dann alles anders ist.

Gerade schlurfen vier Teenager über den Platz, der Aufsehen erregende Fremdkörper auf dem Pflaster hat ihr Interesse geweckt. Würden sie sich normalerweise über die Christoffel Blindenmission (CBM) informieren? Eher nicht. Jetzt jedoch kommt eine der drei Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation für Menschen mit Behinderung auf sie zu, und schon stehen vier junge Leute, die vielleicht nur „abhängen“ wollten, mit Langstöcken da und werden instruiert: „Von ganz links nach ganz rechts, immer am Boden!“

Milchig-mattierte Struktur

Dann die Brillen aufsetzen – große Gläser von milchig-mattierter Struktur simulieren das Sehvermögen eines Menschen mit unbehandeltem Grauen Star, einer der häufigsten Ursachen für Blindheit weltweit. Ganz bei ihrer Zielgruppe, mahnt die Standbetreuerin zur Vorsicht: „Ey Mann, pass auf, das ist Armani, Kollege!“

Wenn man die milchigen Brillen sieht, schießt der Gedanke durch den Kopf: Da ist man ja nicht einmal wirklich blind, man sieht noch schemenhaftes Hell und Dunkel. Dann geht man in den Wagen und verzweifelt an banalen Hindernissen: eine Mülltonne, eine Stufe, bewegliche Holzbretter, eine Kurve. Wenn man hinauskommt, wird man gebeten, auf einem Zettel anzukreuzen, was man wahrgenommen hat.

Da steht dann auch: Wassergraben – häufigste Reaktion: Zum Glück ist man nicht hineingefallen. Schließlich geht man noch einmal hindurch – sehend. Man merkt, dass es gar keinen Wassergraben gab – aber wahrgenommen hätte man ihn auch nicht, so wenig wie die Palmendekoration mit imitiertem Ziehbrunnen.

Während für Jugendliche eher der Erlebniswert des Experiments zählt, beobachten die Mitarbeiterinnen des CBM, wie Menschen ab 50 oft mit einem mulmigen Gedanken an das eigene künftige Sehvermögen den Parcours durchschreiten. Menschen, die an Grauem Star leiden, gehen häufig erst zum Arzt, wenn sie nicht mehr Auto fahren können.

Dennoch sind sie auch dann noch in einer privilegierten Situation – der fünfzehnminütige Eingriff, der das Leiden ein für alle Mal beseitigt, stellt in Deutschland kein Problem da. Anderswo schon – deswegen setzt die CBM neben ihrer Aufklärungsarbeit vor allem auf Kampagnen mit lokalen Partnern in Entwicklungsländern.

Hier möchte man Behinderung erfahrbar machen und dabei den pädagogischen Zeigefinger vermeiden: Die acht Schulklassen, die das Erlebnismobil besuchen, spielen zum Beispiel mit dem Klingelball, einem Ball, in dem es klingelt – denn wie spielen Blinde eigentlich Fußball?

Das ist es, was der Anhänger auf dem Marktplatz erreichen soll: Dass man mit offeneren Augen durch die Welt geht, auch wenn man die Brille am Ausgang einfach wieder abgibt.

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