Essen vor dem Fernseher: Gift oder Genuss?

25.11.2017, 06:00 Uhr
Essen vor dem Fernseher: Gift oder Genuss?

© Fotos: Africa Studio/shutterstock.com, privat

Essen vor dem Fernseher: Gift oder Genuss?

Viele Familien essen vor dem Fernseher. Ist das ein Problem?

Willberg: In Familien mit Kindern ist der Esstisch eigentlich der Treffpunkt für alle, da kommt man ins Gespräch und auch Erziehung wird hier vorgelebt. In dem Moment, wenn der Fernseher läuft, bricht das weg. Damit fehlt unheimlich viel.

Ist es nicht viel wichtiger, was auf dem Teller liegt?

Willberg: Das ist natürlich auch wichtig. Aber nicht nur. Auf Elternabenden brauche ich den Müttern und Vätern nicht mehr sagen, dass sie weniger zu Süßem und mehr zu Gemüse und Vollkornprodukten greifen sollen. Das wissen sie schon. Ich erzähle mehr vom Drumherum: von der Bedeutung von Mahlzeiten und der Umgebung.

 

Was verändert sich also, wenn man vor dem Fernseher sitzt?

Willberg: Egal, ob es der Fernseher ist, das Handy, das Tablet oder die Zeitung: Wenn ich mit meiner Aufmerksamkeit nicht beim Essen bin, fehlt am Ende die Zufriedenheit. Das ist die Erfahrung aus Abnehmkursen: Essen gibt Zufriedenheit – aber nicht, wenn es so nebenher läuft. Und wenn ich nicht zufrieden bin, suche ich mir danach noch etwas. Vor dem Fernseher isst man manchmal auch schneller, man kaut vielleicht nicht richtig und verschlingt womöglich viel mehr, als man wollte. Achtsamkeit ist gerade ein Modewort – aber darum geht es auch beim Essen. Gerade Kinder können da viel fürs Leben mitnehmen.

Manchmal bringt eine Fernsehsendung aber auch Familien zusammen.

Willberg: Ja, das war früher schon so, als die ganze Familie am Samstagabend zum Beispiel Rudi Carrells "Am laufenden Band" geschaut hat und da eben mal vor dem Fernseher gegessen hat. Das war etwas Besonderes, ein Ritual. So etwas ist auch schön. Heute ist es bei vielen leider umgekehrt: Da ist es die Ausnahme, wenn der Fernseher aus bleibt.

Wie viele gemeinsame Mahlzeiten sollten es sein?

Willberg: Mindestens eine am Tag – wobei es nicht überall möglich ist, dass beide Elternteile dabei sind. Das Frühstück bietet sich an. Mittags ist jeder oft irgendwo anders. Auch wenn die Kinder später in der Kita noch mal vespern, würde ich aufs gemeinsame Frühstück nicht verzichten. Die Mama kann ihren Kaffee trinken, und die Kinder könnten ein warmes Getränk und eine kleine Mahlzeit bekommen.

Und wie sollte die Umgebung aussehen?

Willberg: Es sollte ein richtiger Tisch sein, der, wenn’s geht, auch gedeckt ist. Damit die Mahlzeit mehr ist als reine Nahrungsaufnahme.

Was macht das mit den Kindern?

Willberg: Wer Tischmanieren lernt, lernt auch viel über Rücksichtnahme: Wir fangen gemeinsam an, hören gemeinsam auf, schmatzen nicht. . . Es können sich auch schöne Gespräche ergeben, man nimmt einander wahr. Und man kann auch über die Herkunft der Lebensmittel sprechen, zum Beispiel wie aus einem Getreidekorn eine Nudel wird. Da lernen die Kinder nebenbei noch etwas über den Wert der Nahrung.

Was ist mit heiklen Themen? Wie viel Streit darf beim Essen sein?

Willberg: Eltern sollten Probleme nicht am Esstisch klären wollen, also nicht über schlechte Noten reden, übers unaufgeräumte Zimmer, den Müll, der noch rausgebracht werden soll. Vor allem sollten sie hier auch untereinander keine unangenehmen Themen diskutieren. Mahlzeiten sollten als etwas Schönes erlebt werden. Und als etwas, das den Tag strukturiert. Wenn Menschen Gewichtsprobleme haben, haben sie oft keine Regelmäßigkeit erlebt.

Der Sonntagsbraten – ist das auch so ein Ritual, das nicht fehlen sollte?

Willberg: In unserer Gesellschaft gibt es ja viel Unregelmäßigkeit. Einige Fixpunkte zu haben, ist also gut. Das muss aber nicht der Sonntagmittag sein. Da sind wir im Wandel, Mütter wollen vielleicht auch mal ausschlafen. Die klassische Mahlzeit am Sonntagmittag ist eigentlich tot. Aber man kann sich ja zum Brunch am Wochenende versammeln oder zum Abendessen.

Nochmal zum Thema "regelmäßig essen": Es gibt Großeltern, die die Enkelkinder verwöhnen wollen und ihnen unterm Tag viel zustecken. Lässt man sie gewähren?

Willberg: Wichtig ist, dass die Eltern da klare Richtlinien haben und dass man miteinander darüber spricht. Bei uns war es so, dass die Oma einmal pro Woche eine Packung Fruchtzwerge mitgebracht hat – die gab es bei uns sonst nicht. Viele ältere Menschen haben gelernt, dass man Liebe übers Essen zeigt. Die sagen nicht so oft: "Ich hab dich gern" , sondern da kocht die Oma für die ganze Familie auf. Es ist auch wichtig, dass man das wertschätzt, dass die Großeltern was Gutes tun wollen. Vielleicht kann man ihnen ja ein paar Ideen geben, wie sie das sonst noch zeigen könnten?B

Um Ernährung und seelische Gesundheit geht es auch im bundesweiten AOK-Kitaprojekt JolinchenKids, bei dem schon 819 Einrichtungen mitmachen. Informationen gibt es bei Dorothea Willberg unter Tel. (0911) 74 34 190.

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