Fast wäre Miss Nürnberg 1955 aus Roßtal gekommen

7.7.2017, 10:27 Uhr
Fast wäre Miss Nürnberg 1955 aus Roßtal gekommen

© Foto: Wunder

Den Stein ins Rollen gebracht hatte das Wochenmagazin der FN vor rund vier Jahren. Zum Thema "125 Jahre Schönheitswettbewerbe" kramte man in der Geschichte und berichtete über Miss Nürnberg 1955. Mit einem Foto. Darauf zu sehen: Die Siegerin – und die Zweitplatzierte, Hertha Haberecker, die damals noch ihren Mädchennamen Peipp trug. Mit dem Beitrag und durch das Bild kamen alte Erinnerungen hoch.

"Ich habe dann bei den FN angerufen, weil ich nach alten Fotos fragen wollte", erzählt die heute 83-Jährige. Der zuständige Mitarbeiter sei nicht da gewesen, sie sei darüber hinweggekommen, und habe erst vor Kurzem wieder daran gedacht. "Warum, das weiß ich auch nicht", sagt sie lachend. Doch ein erneuter Anruf weckte die Neugier: eine Schönheitskönigin aus Roßtal? Darüber muss berichtet werden.

Schuld war der Nachbarsohn Michel: "Am vorletzten Tag vor der Wahl, einem Donnerstag, kam er an und hat mich überredet, dort mitzumachen", erinnert sich Hertha Haberecker. Und verrät das überzeugende Argument: "Dou kannst wos gwinna", hatte Michel zu ihr gesagt. Im schwarzen Wickelrock, Pulli und Stöckelschuhen spazierte sie also am nächsten Tag nach ihrer Arbeit bei den Viktoria Werken zum Carlton Hotel – und wäre fast postwendend wieder gegangen. "Als ich all die hübschen Frauen gesehen habe, war mir klar, dass ich da überhaupt keine Chance haben würde", erinnert sich die 83-Jährige.

Doch die einzige Arbeiterin unter lauter Models, Sekretärinnen und Angestellten schaffte es in die engere Auswahl – und wurde für den Samstagabend zur Endrunde eingeladen. "Ich konnte es kaum glauben", sagt Haberecker noch heute voller Verwunderung.

Am nächsten Morgen wurde sie zunächst zum Theaterfriseur geschickt, geschminkt, bekam die Fingernägel lackiert und ein Samtmieder sowie einen Taftrock angepasst. "Das war echt toll", erzählt sie schmunzelnd. Den Auftritt abends ging sie entspannt und ohne Aufregung an: "Ich war ganz gelassen, denn ich hatte ja niemandem gesagt, dass ich mitmache, und außerdem dachte ich ohnehin, dass ich den letzten Platz belege."

Zunächst mussten die 15 Frauen im großen Saal des Hotels gemeinsam vor Zuschauern und Journalisten flanieren, schließlich jede Dame einzeln. "Da saßen die Leute sogar mit Ferngläsern, das war wirklich unglaublich." Die erste Runde des Schaulaufens musste in Shorts, die zweite im Badeanzug absolviert werden, erinnert sich Haberecker. "Und dann hat das Publikum abstimmen dürfen." Als ihre Teilnehmernummer (6) und ihr Name als vorletzter genannt wurden, "dachte ich nur ,Ach du lieber Gott!‘". Das Kuriose: In der Nacht zuvor hatte sie von der Zahl 6 geträumt.

Knappes Resultat

Dass die Siegerin aus München kam und ein professionelles Model war, war der damals 21-Jährigen egal. "Für mich als einzige Arbeiterin und dann auch noch als Mädchen vom Land war das ein grandioses Ergebnis." Das im Übrigen denkbar knapp ausgefallen war – die Siegerin hatte 84 und Haberecker 82 Stimmen bekommen. "Und", fügt sie verschmitzt hinzu, "ich glaube, ich habe sogar mehr Geschenke erhalten als sie."

Einen Knirps, eine Ledertasche, Schmuck, Blumen – und aus dem Publikum steckte ihr ein Metzger aus Nürnberg, der einige Roßtalerinnen als Verkäuferinnen beschäftigt hatte, einen Gutschein über 500 Mark zu. "Das war damals so viel Geld, wie heute 5000 Euro", sagt sie immer noch voller Dankbarkeit und großen Augen. Das Geld konnten sie und ihr Freund – ihr späterer Ehemann – gut gebrauchen: "Wir haben gerade gebaut und mit den 500 Mark hab’ ich die Handwerker bei Laune gehalten."

Und eine Karriere als Fotomodell? "Angebote bekam ich genug", sagt Haberecker. "Aber ich wollte nicht." Auf dem Teilnahmebogen, den sie hatte ausfüllen müssen, hatte sie daher logischerweise bei dem Punkt "Zukunftspläne" auch angegeben: Heiraten. Und das tat sie auch. "Wir haben viel gearbeitet und immer gespart, hatten schwere Zeiten."

Heute, mit stolzen 83 Jahren, die man der rührigen Rentnerin nicht ansieht, lebt sie immer noch im eigenen Haus in Raitersaich. Ihr Mann, den sie viele Jahre gepflegt hat, ist vor zwei Jahren gestorben. Hertha Haberecker hat einen Sohn, drei Enkel und einen Urenkel. Ihr größtes Hobby ist ihr Garten, stolz zeigt sie die Blumenpracht, für die sie viel Liebe und Zeit aufbringt.

Lachen, nur wenn’s passt

Bereut hat sie nichts, auch nicht, die Familie dem Laufsteg vorgezogen zu haben. "Lachen für die Kamera und ohne Grund – das wäre nichts für mich gewesen", sagt Haberecker resolut, "nein, ich lache, wenn’s mir passt." Eine einmalige Sache sei das 1955 gewesen. "Und gwunna hab ich ja schließlich viel."

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