Flüchtlinge: Abschied von Mister André und St. Otto

6.12.2014, 21:00 Uhr
Flüchtlinge: Abschied von Mister André und St. Otto

© Foto: Raimund Kirch

Das Loslassen fällt nicht leicht: Als die FN am Freitagmittag anrufen, ist André Hermany in Bamberg. Zu Besuch bei fünf Flüchtlingen, die vor wenigen Tagen aus St. Otto ausgezogen sind. Sie wohnen jetzt mit sieben anderen Jugendlichen in einer Wohngruppe der Caritas; es ist wie in einer WG, mit dem Unterschied, dass es rund um die Uhr pädagogische Betreuer gibt.

So will es der Freistaat eigentlich haben, der die Betreuung junger Asylbewerber kürzlich gesetzlich verbesserte: Minderjährige Flüchtlinge, die allein, ohne ihre Familien, ankommen, werden nicht mehr in Unterkünften mit Erwachsenen untergebracht, sondern von den Jugendämtern in Obhut genommen und in Wohngruppen, Heime oder Pflegefamilien verteilt. Doch weil die Zahl der jungen Asylsuchenden in die Höhe geschnellt ist, fehlten in den vergangenen Monaten Plätze. Hermanys spontanes Angebot, Notplätze im Pfarrzentrum zu schaffen, wurde vom Jugendamt des Fürther Landkreises sofort dankbar angenommen.

In Bamberg wollte der Dekan sehen, ob es seinen ehemaligen Schützlingen gut geht. Er nahm gute Eindrücke mit. Der Platz in einer Wohngruppe bedeutet: viel Deutsch-Unterricht, die Möglichkeit, in die Schule zu gehen oder eine Ausbildung zu machen, Taschengeld – und, für die, die traumatisiert sind, endlich psychologische Hilfe. „Sie machen jetzt den nächsten Schritt“, sagt Hermany. Auch andere seiner früheren Gäste hat er schon in ihren neuen Gruppen besucht. Im Pfarrzentrum ist es in den vergangenen Wochen immer leerer geworden. Zuletzt waren noch acht Flüchtlinge da. Fünf gingen nach Bamberg, drei nach Nürnberg. „Jetzt ist es auf einmal ruhig da drüben, und dunkel“, sagt Jürgen Schnierstein (38), einer der ehrenamtlichen Helfer, die Hermany unterstützt hatten. „Sie sind uns ans Herz gewachsen, man fällt jetzt schon in ein Loch.“

Rückblick: Anfang September lag in dem Pfarrzentrum eine Matratze neben der anderen: Schlafplätze für 40 Jugendliche aus Algerien, Gambia, Nigeria, Somalia, Eritrea, Syrien, dem Irak, Tunesien, Bangladesch und Indien. Viele ehrenamtliche Helfer hatten sich bei Hermany gemeldet. „Ohne sie wäre es nicht gegangen“, sagt er. Sie sortierten Kleiderspenden, gaben Essen aus, wuschen Wäsche, fuhren die Jugendlichen zu Ärzten, brachten ihnen die ersten Brocken Deutsch bei. Überall erlebte man Hilfsbereitschaft, sagt Hermany: Im Jugendhaus Herz konnten die Teenager ins Internet, der TSV Cadolzburg bot Fußballtraining an, die Stadt Langenzenn lud ins Schwimmbad ein, die Leiterin des Jugendamts sei oft am Feierabend vorbeigekommen, um mit den Jungen Karten zu spielen: „Uno ist ganz groß im Rennen.“

Hermany war jeden Tag vor Ort – und von den Jugendlichen beeindruckt: Einer habe auf den anderen geachtet. „Und immer, wenn einer ging, haben die anderen noch eigene Sachen in seinen Rucksack dazugestopft.“ Konflikte? „Die gab es, wie es sie auch bei anderen Jugendlichen gibt.“

Der Dekan und seine Helfer haben viele Lebens- und Fluchtgeschichten gehört, sie handeln von Eltern, die ihr Geld zusammenkratzen, damit wenigstens das Kind in Sicherheit ist, von Schlepperbanden, von Kinderarbeit in Bangladesch, von Syriens Machthaber Assad, von Kindern, die zusehen mussten, wie ihre Familien umgebracht wurden.

In Cadolzburg kamen neue Geschichten dazu. „Mister André“ nannten die Flüchtlinge Hermany. „Abmarsch“ sei ihr Lieblingswort gewesen: „Abmarsch, Mister André“ habe es also geheißen, wenn es zum Schwimmen, Einkaufen, Döner-Essen ging.

Die Gruppe ist zusammengewachsen, vor allem die, die bis zum Schluss in St. Otto waren – drei Monate lang. Manche Helfer wollen in Kontakt mit einzelnen Flüchtlingen bleiben, erzählt Hermany. Und bei der Verteilung der Flüchtlinge habe man darauf geachtet, dass die beieinander bleiben, die Freunde geworden sind.

Erschöpft fühlt er sich jetzt, wo die Verantwortung abfällt, gesteht der Dekan. „Man bräuchte zwei, drei Tage Ruhe.“ Die Umstellung sei nicht leicht, sagt auch Schnierstein, der mit in Bamberg war. „Ich denke oft: Hoffentlich geht es ihnen gut.“

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